16. Juli 2021


Ohne Risikomanagement kein Erfolg an der Börse

Meine persönliche Definition nach über 20 Jahren Börse: Risikomanagement ist, wenn man ruhig schlafen kann.

Gutes Risikomanagement für Börsianer besteht aus zwei Teilen:

  1. Begib Dich nicht in Gefahr – Vermeide Risiko
  2. Manage das Risiko, dass Du eingehen musst.

Risiko vermeiden

bedeutet "Nein" sagen:

  • Nein zu all den neuen tollen Produkten, die es exklusiv nur bei dieser Bank gibt, denn die sind intransparent und maßgeschneidert, um die Renditewünsche der Bank zu erfüllen.
  • Nein zu all den Chancen, die nur heute kommen und dann nie wieder. Schon Kostolany wusste: Chancen sind wie Straßenbahnen. Denen muss man nicht nachlaufen, die nächste kommt bestimmt. Das gilt auch für Aktienkurse.
  • Nein zu allen Preisnachlässen, die nur bis zur nächsten Woche gewährt werde. Das sind die üblichen verkäuferischen Drängeltechniken, um das Quartalsziel noch zu erreichen. Das nächste Quartal kommt bestimmt.
  • Nein zu FoMo (fear of missing out) und Gier.

Wer sich erst gar nicht in Gefahr begibt, kann auch nicht darin umkommen.

Ein guter Risikomanager kennt das Vaterunser, vor allem den Teil "und führe uns nicht in Versuchung".

Deshalb halten sie sich fern von dem ganzen finanzpornographischen News-Trubel. Die einschlägigen Publikationen treiben jede Woche eine neue Renditesäue durchs Dorf:

  • "Wer lesen kann, kauft Gold"
  • "Wir haben einen ETF, der 10x so gut ist wie der Index"
  • "Fakten machen Geld – die 100%-Chance"

Wer sich dieser emotionalen Börsen-Zockerei hingibt, holt sich vollkommen unkontrollierbare Risiken ins Depot.

Stellen Sie sich an die Seitenlinie und sagen Sie wie der Schreiber Bartleby aus der Erzählung Herman Melvilles "I prefer not to" – "Ich möchte lieber nicht". Damit schaffen Sie sich die frivolen Risiken vom Hals.

Frivole Risiken? Ein Risiko ist frivol, wenn Sie dafür nicht angemessen kompensiert werden. Hobbys dürfen frivol sein, Altersvorsorge und Vermögensaufbau nicht.

Was jetzt noch übrigbleibt sind die 20 % der echten Risiken. Für diese Risiken werden Sie mit einer entsprechenden Rendite kompensiert. Diese Risiken müssen Sie managen.

Risiko managen

Bewerten Sie für jede Anlageklasse im Depot die folgenden Risiken:

  1. Ertragsrisiko : Die Anlage erzielt einen geringeren Gewinn als erwartet oder macht Verluste. Bezüglich der Verlusthöhe: Was ist der maximal mögliche Verlust und wie hoch war der höchste Verlust in den letzten 50 Jahren?
  2. Marktrisiko : Welchen Einfluss haben politische und wirtschaftliche Entwicklungen, wie beispielsweise die Corona-Krise oder ein Mietendeckel auf den Wert dieser Anlageklasse?
  3. Liquiditätsrisiko : Wie schnell und zu welchen Kursen kommen Sie aus dem Investment heraus?
  4. Ein hohes Liquiditätsrisiko besteht bei Produkten, bei denen der Broker einen schlechten Kurs stellt.
  5. Gegenparteirisiko : Was passiert, wenn eine der am Handel beteiligten Parteien insolvent wird? ETFs und Aktien sind Sondervermögen, die sind im Fall einer Bankenpleite geschützt. Wenn die AG selbst insolvent wird, ist auch die Aktie wertlos. Sie müssen jedes Glied der Kette durchleuchten.

Bewerten bedeutet:

  1. Wie hoch ist der maximale Schaden im Depot?
  2. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Schadensfall eintritt?

Daraus ergibt sich das gewichtete Schadenspotential. Hier ein Beispiel: Sie haben 50.000 € in ETFs investiert. Ein Totalverlust ist möglich, aber in den letzten 50 Jahren sind die breiten Indizes um maximal 50 Prozent gefallen. Damit ergibt sich das gewichtete Schadenspotential zu

50.000 € x 50% = 25.000 €

Können Sie das ertragen?

Risikomanagement muss immer auf Ihre Persönlichkeit und Ihr Lebensumfeld abgestimmt sein. Ich habe in diesem Fall mit einem Verlustpotential von 50 % gerechnet. In der großen Depression in den 1930er Jahren haben die Kurse aber um bis zu 80 % verloren. Wäre es nicht besser, mit 80 % zu rechnen? Das müssen Sie entscheiden.

Das blöde am Risiko: Es ändert sich mit der Zeit. Tagesgeld ist heute sicher und morgen auch. Aber wollen Sie darauf wetten, dass es in 30 Jahren den Euro noch gibt?

Aktien haben ein anderes Zeitprofil. Kurzfristig gerne im Minus, aber auf 12-Jahressicht war man bis jetzt mit allen breiten Indizes immer im Plus.

Risikomanagement ohne definierten Zeithorizont ist sinnlos. Sie können gerne mehrere Zeithorizonte im Blick haben. Wichtig ist nur, dass Sie die Strategien sauber trennen:

  • Wir haben geerbt und wollen in den nächsten 2 Jahren ein Haus bauen, deshalb haben 400.000 € in Tagesgeld. Das sollte kein Problem sein. Das Risiko, dass in zwei Jahren die Einlagensicherung greift, scheint gering.
  • Zusätzlich haben wir einen ETF-Sparplan (100 % Aktien) für die Altersvorsorge. Hier ist der Zeithorizont 25 Jahre. Auch hier geringes Risiko.

Aber bitte nicht:

Ich habe 30 Jahre gespart und nun 400.000 € im Tagesgeld. Damit will ich in Rente gehen und die nächsten 30 Jahre davon leben. Wieder 400.000 €, aber ein ganz anderes Zeitprofil und deshalb viel riskanter.

Ganz wichtig: Risikomanagement geht nur schriftlich. Schreiben Sie sich auf, welche Leitplanken Sie setzen und was Sie zu tun gedenken, wenn Ihr Depot die Leitplanken touchiert.

Verkaufen? Nichts tun? Nachkaufen? Das sind alles legitime Strategien. Es kommt darauf an, was Ihr Gesamtkonzept ist.

Risikomanagement bedeutet nicht nur: Risiko vermindern, sondern auch: Vermeiden der Cash-Sucht. Ich kenne Menschen, die seit 2014 nicht investiert sind. Mal waren die Kurse zu hoch, dann wieder zu niedrig.

Ein vernünftiges Risikomanagement sagt Ihnen auch, wann es wieder Zeit ist das Börsenparkett erneut zu betreten.

Risikomanagement auf Depot-Ebene – der entscheidende Schritt

Nachdem Sie die einzelnen Komponenten Ihres Portfolios risikotechnisch durchleuchtet und verstanden haben, kommt nun der entscheidende Schritt: Risikomanagement funktioniert nur auf der Depot-Ebene.

Es ist wie beim Kuchenbacken. Mehl, Milch, Eier, Zucker, Schokolade, Rosinen, Backpulver – und Sie entscheiden auf Produktebene: Schokolade, Rosinen, Zucker, Milch: lecker, kommt rein, Zucker gerne etwas mehr. Mehl: na ja, schmeckt nicht so toll, aber ok. Eier: so glibberig und eklig, raus. Backpulver: noch schlimmer.

Der Rest kommt in die Schüssel und wird gut umgerührt und ab in den Ofen. Der Kuchen ist eine Enttäuschung. Ein harter, viel zu süßer Klotz.

Was lernen wir daraus:

  1. Nur weil etwas auf Produktebene gefällt, muss es nicht auf Kuchenebene gut sein.
  2. Manchmal tragen die Dinge, die am wenigsten schmecken, am meisten zum Erfolg bei.

Natürlich müssen Sie die einzelnen Anlageprodukte überprüfen. Sie wollen ja keine toxischen Elemente in Ihrem Depotkuchen haben. Aber das Risikomanagement muss sich immer auf das gesamte Depot beziehen. So machen es die Profis auch. Die Portfoliorendite muss stimmen und die Portfoliovolatilität muss sie ruhig schlafen lassen. Jede Komponente (Aktie, Anleihe, Fonds, Tagesgeld) muss sich im Zusammenspiel mit den anderen bewähren. Dann liegen Sie richtig.

Fazit

  1. Gehen Sie keine frivolen Risiken ein, sondern nur Risiken, für die Sie auch bezahlt werden.
  2. Das Depot unterliegt dem Risikomanagement

(awa)

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Kommentare

Ingrid sagt am 17. Juli 2021

Noch eine Nachfrage zu Punkt 4. Was bedeutet, der Broker stellt einen schlechten Kurs. Welchen Einfluss hat er auf die Kurse?


Dennis sagt am 17. Juli 2021

Sehr guter Artikel. Ein sauberes Risiko-Management ist wirklich wichtig und man sollte tatsächlich auch nicht jedem Mega-Rendite versprechenden neuen Hype folgen.


Finanzwesir sagt am 23. Juli 2021

Hallo Ingrid,

"Was bedeutet, der Broker stellt einen schlechten Kurs. Welchen Einfluss hat er auf die Kurse?"

Wenn Markt "liquide"ist, bedeutet das: Es gibt viele Käufer und Verkäufer. Alle haben ihre Preisvorstellungen und daraus ergibt sich dann ein Konsenspreis. Das ist das, was "der Markt" in diesem Moment für fair und angemessen hält.
Die Börse führt einfach Angebot und Nachfrage zusammen.

Es ist schwer einen fairen Preis zu ermitteln, wenn der Handel dürftig ist. Es gibt einfach zu wenige Referenzpunkte. Das kennt man ja von Immobilien. Was ist ein Haus heute wert, wie viel soll es morgen kosten? Weiß man nicht, weil es keinen kontinuierlichen Handel gibt.
Also muss der Marketmaker (also der Marktmacher) raten. Sein Auftrag ist es Liquidität bereitzustellen (das nennt man "einen Markt machen"), nur: zu welchem Preis kauft er an, zu welchem Preis kauft er?
Ein wirtschaftlich verantwortungsvoller Marketmaker wird sich einen gewissen Puffer einräumen. Wenn er denke: 10 € pro Aktie wäre realistisch, dann kauft er für 9 € an und verkauft für 11 €. Sicher ist sicher.
Dann kann der faire - aber leider unbekannte Kurs - schwanken, aber er macht keinen Verlust.

Wann ist der Handel eher flau? Spät Abends und am Wochenende. Deshalb sage ich immer: Gehandelt wird von Montag bis Freitag und zwar am Nachmittag, wenn die deutschen Börsen noch und Wallstreet schon auf hat. Dann ist die Liquidität am größten.

Gruß
Finanzwesir


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