19. Juli 2021


Sag' nein zum Frugalismus - Der Finanzwesir rockt, Folge 104

Messenger-Koversation:

Finanzrocker: Ich habe hier das Buch "Lebe ein reiches Leben statt reich zu sterben". Ist interessant, wäre das nichts für "Der Finanzwesir rockt"?
Finanzwesir: Hm …

Doch dann:

Gefunden auf Reddit

User "mbrett83" schreibt:
Hallo zusammen, ich habe ein Problem: Geld auszugeben. Jedes Mal, wenn ich Geld ausgeben will, überkommt mich ein ungutes Gefühl. Auch bei wichtigen und nützlichen Dingen.
Ich habe schon viel versucht mir mit Büchern wie "Die with zero" oder mit persönlichen Budgets zu helfen, aber alles ohne Erfolg. Ich weiß, dass es rational gesehen überhaupt keinen Grund gibt so sparsam zu sein. Mein Kopf denkt sich "nur investieren ist vernünftig und je mehr desto besser".

171 Kommentare, scheint ja ein Thema zu sein.
Also haben wir einen antifrugalistischen Lesezirkel gegründet und Bill Perkins’ Buch "Die with Zero", auf Deutsch: "Lebe ein reiches Leben statt reich zu sterben" gelesen.

Wer ist dieser Herr Perkins?

Bill Perkins hat sein Glück im Energiehandel gemacht (Wikipedia schätzt sein Vermögen auf 40 - 400 Millionen Dollar, keine Ahnung ob das stimmt) Herr Perkins ist um die 50 und bekannt für seinen glamourösen Lebensstil und Pokerspiele mit exorbitanten Einsätzen (hab’ ich vom Klappentext abgeschrieben)

Was hat Herr Perkins uns zu sagen?

Als Ingenieur fragt er: "Wie kann ich ein maximal erfülltes Leben führen und gleichzeitig de Verschwendung meiner Lebenszeit minimieren?" Deshalb geht es in diesem Buch nicht darum mehr Geld zu verdienen, sondern mehr aus seinem Leben zu machen.

Sei nicht der reichste Mann auf dem Friedhof.

Was mir an diesem Buch gefällt

Der unbekümmerte Optimismus, den nur die Amis hinbekommen.
Der unromantische Umgang mit Tod und Altern. Wir sterben alle und jedes Jahr bauen wir etwas ab. Bill Perkins denkt regelmäßig über Sterbeszenarien nach (Magensonde, Bettpfanne) und nutzt die App Final Countdown Er schlägt ein interessantes Gedankenspiel vor:

  • Wie verhalten Sie sich, wenn Sie morgen sterben?
  • Wie verhalten Sie sich, wenn Sie übermorgen sterben?
  • Verlängern Sie den Zeitstrahl dann, bis es realistisch wird und beobachten Sie, wie sich Ihr Verhalten ändert.
  • Wie viele Weihnachtsfeste haben Sie noch? Wie viele Sommer, wie viele Winter?

Wenn ich 83 werde,

  • habe ich noch 10.000 Tage vor mir.
  • 28 mal Geburtstag, Sommer, Winter, Weihnachten
  • und ein runder Hochzeitstag, die goldene Hochzeit

Bill Perkins schlägt vor das Leben in Fünfjahresabschnitte einzuteilen und sich zu überlegen: Was will ich in diesen fünf Jahren machen? Es gibt Dinge, für die muss man Single und / oder jung sein. Ich übernachte nicht mehr im Biwak unter freiem Himmel. So schön können die Sterne gar nicht leuchten. Das können die Zwanzigjährigen machen.
Es gibt Zeitfenster im Leben, die sich irgendwann für immer schließen.

Was mir an diesem Buch nicht gefällt

Letztlich ist es anekdotischer Optimismus. Ich erzähle Euch von meinem Leben und verallgemeinere das zu einer Regel: "Lebe ein maximal erfülltes Leben".
Als mürrischer Deutscher fällt mir dazu nur "Survivorship Bias" ein. Wo sind die ganzen Gestalten, die auch ein maximal erfülltes Leben führen wollten und nun in Thailand gestrandet sind und die Einheimischen anbetteln?

Bill Perkins sagt explizit: Junge Menschen sollen nicht sparen, sondern in Erlebnisse investieren. Was nützt es als Student oder Lehrling 10 % des Einkommens zu sparen, wenn das doch 70 bis 100 Euro sind.
70 - 100 Euro sind für einen Mittfünfziger ein halbes Hotelzimmer. Ein Mittzwanziger bezahlt damit eine Woche Hostel.

Wohl wahr. Die andere Seite der Medaille: Wer früh spart verzichtet vielleicht auf Erlebnisse, kommt aber schneller an den Punkt der maximalen Optionalität (voll arbeiten bis zur Reduktion auf Null). Der Erlebniswert ist - in gewissen Grenzen - unabhängig vom Geld (Broken statt Ayers Rock). Der monetäre Zinseszins ist dagegen linear abhängig von der Sparsumme.
Ich gehöre zum Camp der Optionalitäts-Maximierer. Wenn der Blick aus dem Infinity-Pool im 30 Stockwerk bedeutet, dass ich ein halbes Jahr später frei bin kann sich Instagram gehackt legen.

Mein Fazit

Ein Leben ohne Reue ist erstrebenswert, aber sehr schwer umzusetzen. Man braucht dazu eine Freiheit, die viele Menschen nicht haben oder wollen. Es ist harte Arbeit (kognitive Dissonanz lässt grüßen), wenn man die Motivationskacheln aus Instagram wirklich mit Leben füllen will.

Jetzt anhören

Links zum Thema

Buchempfehlung des Finanzrockers

Lebe ein reiches Leben, statt reich zu sterben von Bill Perkins*
Lebe ein reiches Leben, statt reich zu sterben: So machst du das Beste aus deinem Geld und deinem Leben
Weitere Buchrezensionen des Finanzrockers

Medienempfehlung des Finanzwesirs

Stuffocation: Living More with Less
von James Wallman*
Essentialismus: Die konsequente Suche nach Weniger
von Greg McKeown*
Stuffocation: Living More with Less Essentialismus: Die konsequente Suche nach Weniger. Ein neuer Minimalismus erobert die Welt

* Affiliate-Link, ich bekomme eine kleine Provision, für Sie wird das Buch nicht teurer.

(awa)

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Kommentare

Bergfex sagt am 22. Juli 2021

Großartiger Podcast zu einem zu sehr vernachlässigtem Thema. Ganz wichtig auch für Senioren. Hab jetzt viel nachzudenken mit meinen 70… Danke, Finanzwesir!


Bullfighter sagt am 23. Juli 2021

Was man vielleicht auch berücksichtigen sollte, ist, dass von der großen Weltreise mit Mitte zwanzig nach dreißig Jahren nur mehr dunkle Erinnerungen in einem verstaubten Fotoalbum/Festplatte übrigbleiben. Wer, im entsprechenden Alter, kann sich heute noch an die Erlebnisse im Sommerurlaub 1991 wirklich erinnern? Insofern ist es vielleicht sinnvoll, in jungen Jahren finanziell das maximum herauszuholen und die Träume auf später zu verschieben. :-)


NichtArmSterben sagt am 22. Juli 2021

Das Markdown im Artikel scheint komplett kaputt zu sein, ansonsten wie immer erfrischender Artikel ...


Finanzwesir sagt am 23. Juli 2021

An alle: So, das Markdown ist gefixt. Danke für die Hinweise.

@Bergfex: Laut Bill Perkins: Eine ehrenamtliche Tätigkeit in einem Obdachlosenheim ist noch drin. Zur Entspannung dann die Alaskakreuzfahrt. Auch für die reiferen Semester ist noch was geboten.

@Bullfighter: Sommer 1991?? Ich habe nachgedacht und muss sagen: Ich weiß es nicht mehr. Das wird Ende des Studiums gewesen sein. Ab was genau ich im Sommer 1991 gemacht???

Dazu kommt: Bei Erinnerungen gilt die Peak-End-Regel. Egal ob eine Woche oder einen Monat: Unsere (Urlabs)-Erinnerungen beschränken sich auf zwei Punkte

  1. Peak: Was war das schönste / schlimmste Erlebnis
  2. End: Wie ist die Sache ausgegangen? Tolle 3 Wochen, aber der Rückflug total vergeigt: Schlechter Urlaub.

Das ist etwas überspitzt ausgedrückt, aber nicht ganz falsch. Mehr dazu hier: https://en.wikipedia.org/wiki/Peak%E2%80%93end_rule

Wenn Erlebtes zu Erinnerung wird schrumpft die einjährige Weltreise auf das gleiche Format zusammen wie der Wochenendtrip: Höhepunkt und Ende.

Gruß
Finanzwesir


Bergruderer sagt am 23. Juli 2021

Hmm, also mit den komischen Urlaubskommentaren kann ich so überhaupt nichts anfangen. Man erlebt etwas immer für den Moment, für das hier und jetzt und sicher nicht damit man am Ende des Lebens auch was zu erzählen hat.
Es spielt keine Rolle ob man sich noch an die Reise von 1991 erinnert oder nicht. Reisen zeigt einem neue Perspektiven, andere Kulturen und erweitert den eigenen Mikrokosmos. Persönliche Entwicklung ist das Stichwort, es sei denn ihr meint eher den klassischen 14 Tage Malle Trip.
So ist aber nicht jeder gestrickt, ich würde jedem jungen Menschen dringend empfehlen statt in die Börse zu investieren lieber zunächst mal alleine ein paar Wochen durch die USA oder durch Asien zu reisen.
Das bringt einem im Leben wesentlich weiter als ein paar Euro Rendite auf der Couch zu erzielen. So gesehen kann eine Reise auch eine unbezahlbare Investition in die eigene Persönlichkeitsentwicklung sein. Zudem versteht man deutlich besser was auf der Welt passiert, wenn man mal etwas davon gesehen und erlebt hat.

@Finanzwesir: Ich hoffe Sie können eines Tages mal eine Weltreise absolvieren und bin sicher, dass Sie danach deutlich anders über diese Thematik denken.


Alioscha sagt am 26. Juli 2021

Wem sparen in jungen Jahren peinlich ist, darf sich gerne eine/n Ehefrau/Ehemann und Kinder zulegen. Dann ist man/frau seine/ihre Ersparnisse superschnell los: Auto, Haus, Urlaub,etc.


Edmund Schmidt sagt am 25. Juli 2021

@ Bergruderer: Ich denke, keiner kann und muss ALLE Erfahrungen machen. Persönlichkeitsentwicklung findet nicht nur auf Reisen statt. Wie lange würde es unsere Erde wohl aushalten, wenn sich alle Menschen das Recht herausnehmen würden, zur Persönlichkeitsentwicklung durch die Welt zu reisen.
Und das Leben wird nicht erfüllter, je mehr Geld man verbraucht. Wer sparsam lebt, schont die Natur und schafft sich die Möglichkeit zu Investieren. Wer investiert schafft für sich und auch seine Nachkommen Sicherheit, um das Leben unbeschwerter genießen zu können. Der Aufbau des (Sicherheits)-Vermögens gelingt umso leichter, je früher man damit beginnt.


Petz sagt am 28. Juli 2021

Ich finde diese Folge super. Eine der besten, in der Albert Weisheiten vom Stapel lässt, die weit über bloßen ETF-Prophetismus hinausgehen.

Meinungen und Plauderei schaden mir an dieser Stelle gar nicht, sondern empfinde ich eher als bereichernd. Danke.


Stan sagt am 02. August 2021

"Der Goldene Weg" wird wie üblich irgendwo in der Mitte liegen. Sparen? Ja! Aber dabei nicht auf die Sachen verzichten, die Lebensfreude bereiten. Was nützt später das ganze Geld, wenn der Besitzer zu alt ist um zum Beispiel zu reisen, oder xxx zu haben? ;-)


Finanzwesir sagt am 03. August 2021

Hallo Alioscha,
oder die Ersparnisse verschwinden nicht, sondern verdoppeln sich, weil beide Partner an einem Strang ziehen und man die Skaleneffekte nutzt. Ein Badezimmer statt zwei, ein Auto statt zwei...

@Petz: Vielen Dank für das Lob. Solche Folgen sind wichtig aber schwierig. Es ist ein schmaler Grat zwischen "nutzbaren Lebensweisheiten" und "Gequatsche vom letzten Krieg".
Eine klare Agenda 1. Was ist ein ETF, 2. In welchen Formen tritt er auf... ist viel einfacher straff umzusetzen. Von daher freut es mich, dass ich - zumindest für Dich - den richtigen Ton getroffen habe.

Reisen

Das Kaleidoskop der Meinungen und persönlichen Erfahrungen.

  • Die einen schauen jedem Flugzeug sehnsüchtig hinter her, die anderen haben keine Lust auf Viehtransport.
  • Die einen erzählen begeistert von fremden Kulturen und haben durch die Erfharungen ihren Horizont deutlich erweitert, die anderen haben das auch getan. Und zwar im örtlichen Museum. Dort haben sie beim Tag der offenen Tür den Kurator kennengelernt und haben dann noch mal eine richtig private Privatführung bekommen.

Zu jedem Pro gibt ein Kontra und es lässt sich immer ein Haar in der Suppe finden. Ich plädiere hier für das kölsche "Lääve un Lääve lasse." Wer reisen mag, soll reisen. Wer nicht reisen mag, soll zu Hause bleiben.

Gruß
Finanzwesir


Petrosyan sagt am 14. September 2021

Ich muss bei solchen Diskussionen an Epikur und seinen gemäßigten Hedonismus denken. Ihm ging es nicht mal darum, möglichst viel Geld zu sparen, sondern um katastematische Lust, die im Gegensatz zur kinetischen Lust langfristig anhält, also eine langfristige Zufriedenheit. Sprich: Ein gutes Buch zu lesen, bringt einem mehr, als sich die Birne wegzusaufen. Zwar macht das Trinken temporär mehr Spaß, aber langfristig geht es einem besser, wenn man häufiger zum Buch greift als zur Flasche.

Man muss ja nicht völlig tugendhaft und asketisch leben wie Epikur, aber den Grundgedanken finde ich gut. Es gibt Dinge, die Spaß machen und lange vorhalten, während andere Dinge "Instant Gratification" bieten, aber eben nur bis zur nächsten Dosis. Und genauso ist es mit dem Sparen: Am Sparen hat man lange Freude, man hat die beruhigende Gewissheit vorgesorgt zu haben. Wer sich in seiner Freizeit weiterbildet statt am Ballermann Sangria aus Eimern zu trinken, muss sich weniger Gedanken um seine berufliche Zukunft machen, das geht alles Hand in Hand.

Natürlich kommt kein Mensch ohne dynamische Lust aus und manchmal muss man auch mal fünf gerade sein lassen und sich etwas gönnen. Aber wenn man das bewusst tut, kann man es noch mehr genießen. Die lange geplante Südseereise weiß man viel mehr zu schätzen, wenn es die Jahre zuvor nach Rügen ging.


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