25. Mai 2022
Leser K. will keine Diktatur im Depot
Leser K. fragt
Ich würde gerne nur in ETFs investieren, die demokratische Staaten abbilden. Das hat nicht nur politisch-ethische Gründe, sondern vor allem wirtschaftliche:
Ich bin optimistisch, was die Entwicklung von demokratischen Staaten angeht: Demokratien performen langfristig in allen Bereichen besser. Ich bin pessimistisch, was die Entwicklung von autokratischen Staaten angeht: Abgesehen von Outlier China gibt es derzeit keine Autokratie ohne erheblichen Ressourcen, die wirtschaftlich erfolgreich ist. Ich vertraue Autokratien wirtschaftlich nicht (Risiken: potentielle Coups, Aufstände & Kriege).
Leider gibt es keine "demokratischen" Indexfonds. Was ich bisher gefunden habe:
- Industrieländer-Index bildet hauptsächlich Demokratien ab, aber eben keine EMs.
- Es gibt einen MSCI-EM ex China (das beste, was ich bisher gefunden habe).
- Russland fliegt derzeit aus ETFs raus, wird aber irgendwann wieder dabei sein.
- Es gibt/gab auch mal einen kleinen Democracy-Indexfonds, der aber zu klein war.
Meine Frage: Was empfehlen Sie, wenn man nur in demokratische Staaten (weltweit / EM) investieren will?
Der Finanzwesir antwortet
Der Griff zum Factsheet hilft. Aber bevor wir uns in die Details vertiefen. Ab wann ist eine Demokratie eine Demokratie? Mein Vorschlag für diesen Artikel: Wir orientieren uns am Demokratieindex.
"Der Demokratieindex (englisch Democracy Index) ist ein von der englischen Zeitschrift The Economist berechneter Index, der den Grad der Demokratie in 167 Ländern misst (siehe auch Demokratiemessung). Er wurde erstmals im Jahre 2006 und danach meist jährlich veröffentlicht. Der aktuelle Demokratieindex 2021 wurde im Februar 2022 veröffentlicht." Quelle
Industrieländer
Schauen wir uns zuerst die Industrieländer an. Laut MSCI mit dabei
- Europa: Österreich, Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Irland, Italien, Niederlande, Norwegen, Portugal, Spanien, Schweden, Schweiz, Großbritannien und Israel
- Nordamerika: USA und Kanada
- Pazifisches Becken: Australien, Hongkong, Japan, Neuseeland, Singapur
Wie viele lupenreine Demokraten finden wir?
Europa - check
Nordamerika - check
Pazifisches Becken: Alles Demokratien? Oder lassen wir bei der Lupenreinheit mal alle Fünfe gerade sein? Was ist mit Hongkong und Singapur?
Hongkong: Politisches Porträt
"Eine vom Nationalen Volkskongress in Peking vorgegebene Neugestaltung des Verfahrens zur Wahl des Regierungschefs und des Legislativrates begrenzt das passive Wahlrecht auf "patriotische" Kandidatinnen und Kandidaten und schränkt die Beteiligung der Bevölkerung deutlich ein. Eine Opposition ist im Legislativrat nicht mehr vorhanden.
Quelle: Auswärtiges Amt
Ist das noch eine Restdemokratie oder schon kommunistische Diktatur?
Singapur demokratisch?
DuckDuckgo findet: Singapur - Zwitterdasein im Halbdunkel zwischen Demokratie und Autokratie. Hm, gibt’s Karmapunkte für Investitionen im Halbdunkel?
Leser K. ist "pessimistisch, was die Entwicklung von autokratischen Staaten angeht". Das Auswärtige Amt schreibt:
"Singapur hat als Handels- und Dienstleistungszentrum für Südostasien hohen Wohlstand erlangt. Der Staat fördert die Entwicklung moderner Technologien im digitalen Zeitalter."
Quelle
Das klingt doch so, als ob in Singapur das Neuland schon Alltag ist. Da will ich doch investiert sein; oder ist noch zu viel "gemäßigte Autokratie" am Start?
Wie puristisch will ich sein? MSCI liefert in seinem Factsheet nur die Gewichtung der ersten fünf Länder, alles darunter ist "orther". FTSE ist da auskunftsfreudiger. Im Factsheet des FTSE Developed World finden wir auf Seite drei die Ländergewichtung: Singapur: 0,41 %, Hongkong: 0,93 %.
Der MSCI World und der FTSE Developed World sind mehr oder minder gleich aufgebaut. Die FTSE-Zahlen können wir auch für MSCI übernehmen.
Leser K. hat jetzt die Aufgabe sich zu überlegen: Ist eine autokratische Verunreinigung von 1,3 % akzeptabel oder nicht?
Schwellenländer
- Schritt 1: Download des Factsheets des FTSE-Emerging-Marktes-Index.
- Schritt 2: Ein bisschen Excel bringt die folgende Tabelle hervor.
14 von 23 Ländern sind Demokratien.
Nr | Country | Gewicht | Demokratie |
---|---|---|---|
1 | Brazil | 6,58 % | x |
2 | Chile | 0,62 % | x |
3 | Kolumbien | 0,26 % | x |
4 | Tschechische Republik | 0,16% | x |
5 | Griechenland | 0,36 % | x |
6 | Ungarn | 0,20 % | x |
7 | Indien | 16,60 % | x |
8 | Indonesien | 2,03 % | x |
9 | Malaysia | 1,90 % | x |
10 | Philippinen | 0,85 % | x |
11 | Rumänien | 0,07 % | x |
12 | Südafrika | 4,43 % | x |
13 | Taiwan | 17,31 % | x |
14 | Thailand | 2,52 % | x |
Summe Demokratien | 53,90 % | ||
15 | China | 33,30 % | |
16 | Ägypten | 0,10 % | |
17 | Kuwait | 1,03 % | |
18 | Mexico | 2,60 % | |
19 | Pakistan | 0,02 % | |
20 | Qatar | 1,20 % | |
21 | Saudi Arabien | 5,64 % | |
22 | Türkei | 0,47 % | |
23 | VAR | 1,75 % | |
Summe Autoritäre Regime | 46,10 % |
Wie hat die Jury gewertet? Alle grün markierten Länder in der Weltkarte sind Demokratien, Hybridregime und Autoritäre Regime nicht.
Die Unterschiede zwischen MSCI und FTSE sind minimal
- Nur im FTSE: Rumänien und Pakistan - Rumänien ist eine Demokratie, Pakistan ist ein schlechtes Mischregime. Aber mit 0,02 % eher ein Rundungsfehler im Index.
- Exklusiv im MSCI: Südkorea, Peru, Polen - alles Demokratien
Der MSCI ist damit etwas demokratischer als der FTSE. Aber letztlich sind beide Indizes 50/50.
Fazit
Leser K. stellt eine harmlose Frage und öffnet damit die Büchse der Pandora. Ein Industrieland-Index ist zu gut 98 % frei von undemokratischen Regimes. Die Schwellenländer-Indizes sind froh, wenn Sie die 50 %-Marke in Richtung Demokratie überspringen.
Was jetzt?
MSCI World & FTSE Developed World
98 % ist ok, ein bisschen Schwund ist immer. Lass’ mal pragmatisch investieren. Man will ja auch fertig werden. Und Singapur lebt ja im Zwielicht zwischen Demokratie und Diktatur, da können wir uns das noch ein bisschen schön rechnen. Sagen wir: 50 % der Gewichtung gehen aufs Konto "Diktatur" und die anderen 50 % buchen wir auf "Demokratie" und schon sind wir bei knapp 99 % Demokratie im FTSE Developed World. Das kann sich doch sehen lassen.
98 % sind nicht ok. Es geht ums Prinzip und diese Schönrechnerei macht ein aufrechter Demokrat nicht. Was bleibt? Eine Mischung aus
- MSCI Europe, FTSE Developed Europe oder STOXX 600 Europe
- S&P 500 oder MSCI / FTSE Northamerica oder MSCI / FTSE USA
- MSCI Japan, Japan ist mit knapp 70 % sowieso das Schwergewicht in der Region. Damit sind wir Hongkong und Singapur los. Australien und Neuseeland sind Kollateralschäden. Wobei man sagen muss: Zumindest Neuseeland ist mit einer Gewichtung im FTSE Developed World von 0,09 % eher hobbitmäßig im Impact.
MSCI oder FTSE Emerging Markets
Wandel durch Handel. Wenn Blackrock und Konsorten denn mal ihre Stimmrechte wahrnehmen würden, könnten sie womöglich mehr für die Menschenrechte tun, als politische Schönwetterredner. Wer bezahlt, bestimmt. Das gilt auch für Aktienbesitz.
Deshalb ist es wichtig, dass möglichst viele Demokraten Anteile an Firmen aus Schwellenländern halten.
Unsinn, am Ende regiert das Geld. Und, wie Leser K. sagt:
"Ich vertraue Autokratien wirtschaftlich nicht."
Ein Schwellenlandindex ist nicht akzeptabel.
Aber wie investieren?
Eine Option wäre: Gar nicht. 85 % der globalen Wirtschaftskraft liefern die Industrieländer, 14 % entfällt auf die Schwellenländer und 1 % auf die Frontiermärkte.
Getreu dem Motto: "Nicht arm sterben" stellt sich die Frage: Wozu Schwellenländer? Vor allem, wenn man sowieso nicht an die Performance glaubt. Wer auf die Schwellenländer verzichtet, kann Demokrat sein und kriegt trotzdem seine Rendite.
Man darf natürlich nicht darüber nachdenken, dass Apple seine Telefone auch an die Oligarchen in Moskau, Peking und Istanbul verkauft…
Wenn es doch etwas Schwellenland sein soll, dann kämen für mich nur Indien und Taiwan - die beiden Demokratiedickschiffe des Index’ - in Frage.
Das Problem: Wenn man die nicht massiv übergewichten will, dann landet man bei homöopathischen Dosen.
- Indien hat im FTSE All World eine Gewichtung von 1,73 %
- Taiwan hat im FTSE All World eine Gewichtung von 1,80 %
Alles unter 10 % hat keine Auswirkung aufs Depot und schon landen wir wieder bei: keine Schwellenländer.
Meine persönliche Meinung: Schwellenländer ohne China finde ich lächerlich. Denn ohne China bedeutet immer noch: Mit Saudi Arabien, einem der reaktionärsten Staaten dieses Planeten.
Uiguren foltern? Geht gar nicht! Schwule an Baukränen aufhängen? Nicht schön, aber was will man machen.
Entweder konsequent oder gar nicht.
Ok, aber was ist mit den ESG & SRI-Varianten?
SRI schließt im Allgemeinen mehr aus, als ESG. Ich habe mir den MSCI Emerging Markets SRI angeschaut. Auch da können Sie sozial sensibel in Saudi Arabien investieren. Ich denke, es dauert noch ein bisschen, bis sich den Indexanbietern diese Ironie erschließt.
Fazit
Demokratie hin, Demokratie her - wer einfach investiert, hat entweder
- eine Zeile (MSCI ACWI / FTSE All World)
- oder zwei Zeilen (MSCI World / FTSE Developed World & MSCI / FTSE Emerging Markets)
im Depot und ist fertig.
Wer versucht Diktaturen zu vermeiden, muss mehr Aufwand betreiben. Die Industrieländer werden mit drei Indizes abgedeckt, auf die Schwellenländer verzichten wir. Reicht auch zum nicht arm sterben.
Sie müssen sich entscheiden: Entweder ein lückenloses Weltportfolio oder ein Depot der Demokratien.