Lesen Sie auch Investment-Pornos?
Früher (so um die Jahrtausendwende) war ich ein begeisterter Leser von Investment-Pornografie. Wir hatten ein Abo der Wirtschaftswoche (Wiwo), und wenn ich sonntags Brötchen geholt habe, gab’s zu Hause nicht nur frische Backwaren, sondern auch die aktuelle Ausgabe des „Euro am Sonntag“. Die haben die beste Ehefrau und ich dann studiert und diskutiert.
Die Euro-am-Sonntag-Redaktion lobt diesen Biotech-Fonds! „Schatz, was schreibt die Wiwo darüber?“ „Nur eine kleine News-Meldung? Na, macht nix, ich komm’ morgen am Zeitungsbüdchen vorbei, da kaufe ich uns die aktuelle Focus Money.“
Ein guter Teil unserer Kaufentscheidungen beruhte damals auf der „Empfehlung der Redaktion“.
Wie ich vom Saulus zum Paulus wurde
Mittlerweile würde ich mich als „trockener Investmentpornograf“ bezeichnen. Warum?
Weil wir 2011 von Bayern nach Hamburg umgezogen sind. Bevor die Nordlichter jetzt jubeln: Nein, es war nicht die frische Meeresbrise, die mein Hirn durchgepustet hat, und die Weite der Landschaft hatte ebenfalls keinen positiven Einfluss auf meinen Horizont. Der Grund für meine Läuterung war schlicht und ergreifend ein Rückblick.
Wer umzieht, dringt beim Packen der Kartons in langjährig unberührte Sedimentschichten vor. Dort fand ich einen alten Packen Wiwos und eine Kladde mit Ausrissen aus diversen Finanzpublikationen (die berühmten Empfehlungen der Redaktion).
Eigentlich soll man sich beim Umzug ranhalten und das Zeug effizient in Kisten tackern, aber bei manchen Entdeckungen muss man dann doch erst einmal in Erinnerungen schwelgen. So war es mit mir und den Finanzpublikationen. Aus dem „Nur mal schnell durchblättern“ wurde recht schnell ein „Was ist denn nun daraus geworden?“.
Oh mein Gott!
10 Jahre sind eine ganz schön lange Zeit. Ein Teil der empfohlenen Firmen existiert überhaupt nicht mehr. Entweder aufgekauft oder pleite.
Ein anderer Teil der Firmen hat sich gut entwickelt, zum Teil aus den im Artikel angeführten Gründen, zum Teil aus ganz anderen Gründen.
Ein dritter Teil ‒ die als Loser verunglimpften ‒ ist tatsächlich zugrunde gegangen. Auch hier gilt: Entweder aus Gründen, die im Artikel angesprochen wurden, oder aus Gründen, die niemand hat kommen sehen.
Es gab aber auch Loser, die sich prächtig entwickelten. Die wurden dann ‒ „Was geht uns unser Geschwätz von gestern an“ ‒ vom Loser zum Phönix befördert („Lass uns ‘ne heiße Turnaround-Story machen“).
Alles in allem keine präzise Glaskugel-Vorhersage, sondern Auguren-Geschwätz („Lasst uns ein Schaf schlachten und in seinen Eingeweiden lesen“). Investment-Pornografie eben!
Der Blick auf die eigenen Investments hätte mich das auch lehren können, aber es hat dann doch diese geballte Rückschau gebraucht, um mit diesem Kapitel endgültig abzuschließen.
Fazit
Ob „Empfehlung der Redaktion“ oder „Empfehlung eines besoffenen dartpfeilwerfenden Pavians“ ‒ das nimmt sich nichts. Die Altpapiertonne war an diesem Tag besonders voll und im Flieger nehme ich jetzt immer die Bunte und lasse die Focus Money liegen.
Wer hat’s erfunden?
Obwohl ich Investment-Pornografie für ein ganz wunderbares Wort halte, kann ich leider nicht die Urheberschaft beanspruchen. Ehre wem Ehre gebührt: Ich habe diesen Begriff im Buch "The Boogleheads’ Guide to Investing" von Taylor Larimore, Mel Lindauer und Michael LeBoeuf gefunden.
(awa)
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Kommentare
Couponschneider sagt am 03. April 2014
Ich lese ab und zu WiWo und Capital, gerne auch Handelsblatt und FAZ, der ja keinen schlechten Finanz- und Wirtschaftsteil hat. Ich halte diese Publikationen nicht für "Investment-Pornos", sondern für gute Zeitschriften und Zeitungen mit einem Schwerpunkt auf Wirtschaft. Wirtschaft ist mehr als Börse. Politik interessiert mich auch, genauso der Feuilleton, weshalb mir die FAZ bei Bahnreisen ein willkommener Begleiter ist, weil die im Prinzip alles abdeckt. Und der Sportteil hat auch etwas für sich.
Focus Money und Euro am Sonntag hatte ich schon mal. Das sind Finanz- und Börsenzeitschriften. Das Thema halte ich nicht für so ergebig, als dass man sowas wöchentlich rausbringen könnte. Die tun es doch, dementsprechend dämlich sind diese Zeitschriften. Einmal und nie wieder.
Wie beknackt Focus Money ist, sieht man hier:
http://www.stefan-niggemeier.de/blog/always-believe-in-your-soul/
Finanzwesir sagt am 11. April 2014
Hallo Covacoro,
danke für den Kommentar. Danke, daß Dir der Blog gefällt. Das motiviert natürlich zum Weitermachen.
Gruß
Finanzwesir
Finanzpennäler sagt am 15. Januar 2015
Lieber Finazwesir,
ich lese seit mehreren Wochen Diverses zum Thema "Wie investiert man sinnvoll" bzw. ich bin nun schon weiter, "Wie investiert man in ETFs". Auf Ihre Seite bin ich erst vor vier Tagen gestoßen, wusste bereits manches Wenige, vieles war unklar und anderes konnte ich mir einfach nicht vorstellen, warum irgendjemand dafür sein Geld ausgeben sollte. Ihre Beiträge sind genau für Leute wie mich geschrieben, weil Sie Zusammenhänge verständlich und gerade nicht suggestiv thematisieren. Dafür möchte ich Ihnen mein Kompliment und meinen Dank aussprechen! Die "Cracks" im Wertpapierforum neigen nämlich nur all zu oft dazu, Ihre Gedanken zu verkomplizieren und wissen ohnehin immer, dass sie es ja richtig machen. Was mir als studiertem Germanist darüber hinaus gefällt, sind Ihre stilistisch tollen Beiträge, die ich mir selbst dann gönnen würde, wenn ich gar nicht nach Finanzprodukten suchte. Den Begriff "Investmentpornographie" werde ich in meinem Bekanntenkreis auf jeden Fall einführen!
Herzlichst und dankend für die investmentstrategische Aufhellung,
Finanzpennäler
Finanzwesir sagt am 16. Januar 2015
Hallo Finanzpennäler,
danke für die freundlichen Worte. Wenn ein Mann des Wortes die Wahl meiner Worte lobt, ist das natürlich besonders schön.
Was das Wertpapier-Forum angeht: Sehr hohes Niveau, rauher Ton, nichts für absolute Anfänger, da gebe ich Ihnen recht. Ich mag die Werbefreiheit des Wertpapier-Forums (viele andere Finanzforen sind zum Tummelplatz der Vertriebler verkommen) - und auch wenn die Jungs sich da manchmal zu sehr im "seeking alpha" verlieren: Viele der dort geäußerten Ideen und Ansichten kann ich unterschreiben.
Die Kommentare der Finanz-Taliban laß ich immer links liegen - dann geht´s ganz gut. Und die Kreuzzüge "aktiv" vs. "passiv" sind mir auch egal ;-)
Gruß
Finanzwesir
Buechermaus sagt am 24. März 2015
All diese wundervollen Ratschläge gibt es nicht nur im Finanz-Käseblatt vom Büdchen: Wenn man in Deutschland keine Adresse hat existiert man nicht fuer Selbstbedienungsinstitute sondern muss sich mit einer Full-service-Bank auseinandersetzen. Die dann solche Kommentare macht wie "unsere Analysten empfehlen heute........" und bei den Punkten kann man dann alles mögliche einsetzen. Argentinien-Anleihen, Hedge-Fund-Beteiligung, Private Equity - gehört laut Experten in ein ausgeglichenes Portfolio. Na danke, da verschulde ich meine Bauchlandungen dann doch lieber selber.
Und halte mich an die Empfehlungen beim Eismann: der Geschmack der Woche ist ....... - dabei kann nicht viel schief gehen.
Beste Gruesse