16. Juni 2015
Wie ich E.ON mal 5 Euro schenkte oder: Richtig Schluss machen
Vor drei Jahren habe ich kurzzeitig Strom von E.ON bezogen. Unsere Beziehung war nicht immer problemlos, und nachdem ich die Schlussrechnung bezahlt hatte, hoffte ich, nie wieder etwas von E.ON zu hören.
Doch leider hat es mit dem E.OFF nicht so richtig geklappt. Vor drei Wochen flatterte mir ein Brief ins Haus: "Man habe bei der Schlussrechnung von vor drei Jahren einen Fehler gemacht (tut uns auch ganz arg leid). Aber es sind noch 51,45 Euro fällig und die sind bitte zack-zack zu überweisen."
Was ist dann passiert?
- Ich habe das Geld zügig überwiesen. Doch leider nicht so, wie E.ON sich das vorgestellt hat.
- E.ON hat die 51,45 Euro deshalb nicht akzeptiert, sondern zurückgehen lassen.
- Ich dachte, die Sache wäre durch und habe deshalb zu spät gemerkt, dass E.ON mein Geld nur in einer ganz speziellen Darreichungsform mag.
- Ich habe das Geld erneut überwiesen, und zwar ganz genau so, wie E.ON es sich wünscht. Leider zu spät.
- E.ON brummt mir 5 Euro Mahngebühr auf (immerhin knapp 10 % der Forderung) und verpackt das in einen dieser üblichen zynischen Briefe, bei dem man genau merkt: Dieser Absatz ist von der Marketingabteilung ("Wir sind gerne für Sie da", flöt…) und diesen Absatz haben die Juristen beigesteuert.
- Ich habe mich fürchterlich aufgeregt und dann die 5 Euro überweisen.
OK, Finanzwesir, wir wissen seit Kafka, dass Behörden und Großkonzerne seelenlose Moloche sind, die einfach stur und ohne Sinn und Verstand vorgegebene Prozesse abarbeiten.
Wieso behelligst du uns mit deinem Gejammer?
Wegen Punkt 6 der obigen Liste. Was bedeutet "fürchterlich aufgeregt"?
Bauch: "Eine Schande ist das!! Nutzlose < PIIIIIIIEEEEEEP – zensiert > sind das!! Ich schreibe denen einen Brief, was erlauben die sich!! Die machen einen Fehler und ich soll zahlen??? NIE!! DIE MACH’ ICH FERTIG!!"
Kopf: "Lieber Bauch, das ist Unfug. Das lohnt sich nicht. Bei einem Stundenlohn von 20 Euro kannst du eine Viertelstunde investieren. Dafür kannst du den Brief ausdrucken, eintüten und zum Briefkasten bringen, aber nicht schreiben."
Bauch: "Das ist nur Feigheit und Konfliktscheu! Man darf sich nicht alles bieten lassen!"
Kopf: "Das ist keine Feigheit, sondern klug. Bedenke die Opportunitätskosten. Statt einen Brief zu schreiben, den nur E.ON liest und der mir vielleicht 5 Euro einbringt, könnte ich einen polemischen Blog-Artikel verfassen, den Hunderte lesen. Dann wären die 5 Euro sozusagen Marketing-Budget."
Bauch (voll mürrisch): "Na gut."
Aber ein schales Gefühl bleibt.
Wenn ich schon so ein Gezeter wegen lumpiger 5 Euro mache, wie hoch schlagen dann die Wogen, wenn es darum geht, eine wirkliche finanzielle Fehlentscheidung zu korrigieren?
Wenn es nicht um 5 Euro Mahngebühr geht, sondern um 500 Euro Abschlussgebühren, die man nie wieder sieht.
Wie wahnsinnig schwer das ist, zeigt der Kommentar von Leser Joerg, der seine Riester-Versicherung gekündigt hat.
Das liest sich weniger wie ein nüchternes Abwägen, sondern mehr wie die "Ich-habe-Schluss-gemacht"-Postings im Brigitte-Forum.
Deshalb: Machen Sie mit Ihrem Geld nicht nur eine Feuerübung, sondern stellen Sie sich vor, wie es wäre, wenn Sie Schluss machen.
Richtig Schluss machen
Schritt 1: Das Undenkbare denken
Sie müssen erst einmal den Gedanken zulassen, dass dieser Riester-Vertrag, diese Aktie oder dieser Fonds Sie nicht bis zur Rente begleiten wird.
Es gilt herauszufinden, warum man selbst und dieses Finanzprodukt nicht mehr zusammenpassen.
- Hat man sich auseinander gelebt? Ein Produkt, das für einen Single passt, muss nicht zwangsläufig für eine Familie optimal sein. Womöglich haben Sie auch so viele Finanz-Blogs gelesen, dass Sie sich jetzt mehr zutrauen und feststellen, dass dieses Finanzprodukt Ihrem neuen Verständnis von Risiko und Rendite nicht mehr entspricht. Oder Sie wollen jetzt doch ein Haus bauen.
- Hat sich das Produkt unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in Ihr Depot geschmuggelt (gerne mit tätiger Hilfe eines freundlichen Strukkis)?.
Schritt 2: Die Trauerphase
Nachdem klar geworden ist „Mit uns beiden wird das nichts mehr“, brauchen Sie eine angemessene Trauerphase. Die Beziehung war ja nicht ganz billig, da darf man schon wütend, traurig und enttäuscht sein.
Irgendwann muss man aber wieder Boden unter die Füße bekommen, und dabei helfen die Tricks, die ich bei meinem 5-Euro-Problem angewendet habe.
- Die Zahlen auf den Tisch. Unwissenheit erzeugt Unsicherheit, Unsicherheit erzeugt Angst und Angst ist ein schlechter Ratgeber.
- Welche Szenarien sind möglich?
- Was ist der maximale Schaden?
- Einen Schritt zurücktreten und die Situation umdefinieren. So habe ich Mahngebühren in Marketing-Kosten verwandelt. Sie müssen für sich eine sinnvolle Umdefinition finden. War das jetzt Lehrgeld, eine strategische Frontbegradigung oder was auch immer. Wichtig ist nur: Raus aus der Opferperspektive!
Ja, das Geld ist weg und kommt auch nicht wieder. Aber man fühlt sich besser, und nur so erreicht man den dritten Schritt und kann loslassen.
Schritt 3: Die Trennung
Bei Fonds und Aktien ist es der Verkauf, bei Lebensversicherungen kann es einfach eine Beitragsfreistellung sein.
Man sieht sich nach der Scheidung ein letztes Mal bei der jährlichen Steuererklärung und dann nie wieder.
Damit ist die Sache dann auch emotional durch.
Fazit
Wer erinnert sich noch an den Deutschunterricht, Thema "Die klassische griechische Tragödie"? Das gab‘s doch den Begriff der Katharsis. Darum ging‘s die ganze Zeit.
"Die Katharsis bezeichnet nach der Definition der Tragödie in der aristotelischen Poetik die "Reinigung" von bestimmten Affekten. Durch das Durchleben von Jammer/Rührung und Schrecken/Schauder erfährt der Zuschauer der Tragödie als deren Wirkung eine Läuterung seiner Seele von diesen Erregungszuständen."
Quelle Wikipedia
Für uns als Anleger weniger Rührung, aber auf jeden Fall Jammer, Schrecken und Schauder. Da wir nicht bloß Zuschauer sind, sondern Akteure, erleben wir die Emotionen natürlich besonders intensiv.
Was einem Hoffnung gibt, ist der Halbsatz
"…eine Läuterung seiner Seele von diesen Erregungszuständen."
Das kann ich aus meiner Erfahrung bestätigen. Man wird mit der Zeit gelassener und irgendwann ist die Ruhe des Zen stärker als aller Jammer, Schrecken und Schauder.
Trauen Sie sich, Schluss zu machen. Sie werden sich – nach einer angemessenen Trauerzeit – besser fühlen.