29. November 2021


Aktionäre? Alles Hütchenspieler! - Der Finanzwesir rockt, Folge 106

Ideologisches Scheuklappen-Investieren hat noch nie funktioniert. Deshalb reden wir mit jedem. In dieser Folge freuen wir uns, Ihnen Ulrike Herrmann vorstellen zu dürfen. Frau Herrmann ist ausgebildete Bankkauffrau, studierte Historikerin und Philosophin und arbeitet seit 2006 als Wirtschaftskorrespondentin für die TAZ in Berlin.
Sie hat - unter anderem - das Buch "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung - Was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" geschrieben.
Von Marx lernen heißt siegen lernen?
Na, das hat uns interessiert und so haben wir Frau Herrmann gefragt, ob Sie sich vorstellen könnte mit uns zu sprechen.
Konnte sie und so unterhalten wir in dieser Folge über:

  1. Wer waren eigentlich Marx, Smith und Keynes? Ok, Marx dürfte bekannt sein. Aber Smith ist nicht Smith, Will, sondern Smith, Adam. Und Leute wie Mister K. - wo noch nicht mal der Name flüssig über die Zunge geht - sind eh suspekt. Also erst mal Vorstellungsrunde.
  2. Was können wir von denn nun von den Drei lernen? Besonders von Marx? Der Kommunismus ist doch jedes Mal krachend gescheitert.

Thema Kapitalismus

Was ist das eigentlich, der Kapitalismus? Und: Wie werde ich ein Kapitalist?

  • Indem ich meinen Wochenendeinkauf mache (Teilnahme am Kapitalkreislauf)?
  • Wenn ich ETFs kaufe (Teilnahme am Kapitalmarkt)?
  • Wenn ich eine eigene Firma habe (ich presse meinen Angestellten den kapitalistischen Mehrwert ab)?
  • Ist es auch möglich in unserer Gesellschaft kein Kapitalist in zu sein?

Ökonomie in der Krise?

In welcher Krise steckte die Ökonomie Ihrer Meinung nach heute? Börsenkrisen gab es doch schon immer. Die vergehen auch wieder und was die Anleihenkäufe der EZB angeht: War es nicht Keynes, der ein "Deficit spending" vorschlug?

Was spricht gegen Mathe in der Ökonomie?

Was ist schlecht an den Neoklassikern? Ist es nicht gut, dass wir die Ökonomie verwissenschaftlichen statt wie Keynes die Sache philosophisch anzugehen. Philosophisch ist doch nichts weiter als ein Euphemismus für: "Ich rede jetzt mal so klug daher; wird schon stimmen." Was spricht gegen eine zahlen- und faktenbasierte Ökonomie? So wie in der Physik.
Für Keynes waren Wahrscheinlichkeiten in seiner Doktorarbeit nichts, was man erst klar definiert und dann misst. Aber: Was man nicht messen kann, kann man nicht verbessern.
Was sind Ihre Hauptkritikpunkte an der Neoklassik und wie betrifft mich das als Anleger und Bürger konkret?

Konkrete Tipps für unsere Hörer

"Et is wie et is"! Wir leben aktuell unter dem Diktat der Neoklassik. Weder wir, noch unsere Hörer werden das ändern können. Wie machen wir das Beste draus? Wie kann ich als als Mensch zwischen 30 und 50 zu Wohlstand kommen?

Finanzen

Finanzielle Bildung: Worauf sollen unsere Hörer achten?

Altersvorsorge

Ist die Rente doch sicher?
Sie sind der Meinung, dass Aktienkäufer nur Hütchenspieler sind und Kryptowährungen ebenfalls nichts für Privatleute sind. Was sollen unsere Hörer tun? Höhere Löhne verlangen und dann Rentenpunkte sammeln? Was ist mit Immobilien? Welchen Weg sollen unsere Hörer beschreiten?

Politik

  • Soll der Staat mehr eingreifen, beispielsweise durch höhere Besteuerung der Reichen?
  • Brauchen wir mehr Umverteilung?
  • Wie gehen wir mit der Alterspyramide um?
  • Was wäre denn wichtig, damit die Zustände sich für breite Bevölkerungsschichten ändern?

Das Ende war leider etwas dystopisch und da hat unser Finanzrocker dann doch Puls bekommen. Aber er hat seine Contenance gewahrt.

Jetzt anhören

Das Kontrastprogramm

Unser Interview mit Thomas Meyer, dem Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Insitute zum Thema "Was kann ich als Anleger - über das Tagesgeschehen hinaus - unternehmen, um mein Depot robust und resilient zu gestalten?"

Zwei Bücher unseres Gastes

Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen* Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung*
Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung

Medienempfehlung von Ulrike Herrmann

Keine. Auch auf Nachfrage: Nein, es gibt nichts, was sie empfehlen kann.


* Affiliate-Link, ich bekomme eine kleine Provision, für Sie wird das Buch nicht teurer.

(awa)

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Kommentare

Björn sagt am 29. November 2021

Danke für diese interessante Interview!

Meine Kurzzusammenfassung:
Alles ist eine Blase und man selbst tut am besten nichts für seine Altersvorsorge (höchstens die selbst genutzte Immobilie).

Das klingt für mich furchtbar unselbständig, passiv und naiv auf 'den Staat' vertrauend.

Leider wurde versäumt die Frage zu stellen warum denn einerseits Aktien angeblich nicht zum Vermögensaufbau geeignet sind aber andererseits seit über 100 Jahren die Vermögenden mehrheitlich Aktien besitzen, die man ihnen weg besteuern muss... :-)


Jay sagt am 29. November 2021

Tolle Frau, klasse Gespräch!


Slowrollee sagt am 29. November 2021

Ein unglaublich gutes Interview - einfach weil mal eine ganz andere Seite beleuchtet wurde. Sie ist der Frage ja am Ende ein wenig ausgewichen - aber halte Frau Herrmann für klug genug zumindest in der derzeitigen Welt sein Geld gewinnbringend anzulegen. Das verfügbare Geld wird ja nicht weniger werden, sodass selbst der aufgeblähte Kapitalmarkt mehr bringt als das Tagesgeld.
Ansonsten waren sehr viele Interessante Gegenstandpunkte zu hören - die haben mich genug getriggert dass ich vorhin direkt vom Einkaufen zur (neuen supersüßen) Buchhandlung gelatscht bin.

Zu dieser Folge würde mich tatsächlich eine Diskussion zur Einordnung von euch beiden sehr interessieren. Vielleicht habt ihr ja mal Lust auf ein kleine Runde für Zwischendurch ;-)


Sievux sagt am 29. November 2021

Lieber Finanzwesir, lieber Finanzrocker,
wow, ein sehr guter Podcast! Ich glaube, das war einer der beste Podcast, den ich je gehört habe!
Das lag aber auch an der super eloquenten Gästin Frau Herrmann, eine sehr gute Gästewahl. Diesmal ist es wunderbar gelungen eine neue Sichtweise auf diese Welt und dessen Wahnsinn zu bekommen! Besten Dank an alle Beteiligten für diesen „Mind opening“! Dieser Podcast ist ein sehr gutes Beispiel, dass auch andere Standpunkte super interessant sein können. Ich kann den Podcast nur weiterempfehlen. Gerne mehr davon!

Vielleicht wäre es eine Idee bzw. eine Weiterentwicklung des Podcast, dass die Gedanken / Thesen wie die von Frau Herrmann als Beispiel für ein Gedankenexperiment durchzuspielen, durchzurechnen und die Ergebnisse zu diskutieren. Eine Art eines philosophischen Salons für private „Klein“-Investor, eine Art Thesenvorstellung mit anschließender Podiumsdiskussion ... Bitte weiterhin auch die kontroversen Thesen und Standpunkte. Ob sie dann für den selbstbestimmten Investor sind, kann dann und muss der Investor selbst entscheiden.
Aber bitte auch Finanzbildung für den privaten Investor nicht vernachlässigen und die neuen Trends vorstellen.

Das soll keine Kritik sein, aber leider kann ich aus dem heutigen Interview keine aktuelle Handlungsweise trotz der grandiosen Ideen ableiten. Vielleicht ergibt sich in diesem Forum eine „Community- Idee“? Meine Idee ist und es mag verrückt sein, doch solange es noch kein keine bessere Idee existiert, werde ich den Wahnsinn einfach unbeirrt weiterfortführen. Ich glaube, wer diesen Wahnsinn nicht mitspielt, hat leider schon verloren! Ich kann den Wahnsinn sind nicht beseitigen, aber vielleicht für mich und mein Umfeld etwas mildern. Das klingt auch verrückt...

Vielen Dank, macht weiter so!


Peter sagt am 29. November 2021

Das Interview zeigt sehr schön die Probleme des linken Spektrums auf. Angefangen mit "herrschenden Lehre" die mich sehr stark an Querdenker-Sprache erinnert.
Dann wird das relativ alte Problem der Gleichgewichte bzw eher der Fehlen ("Schweinezyklus") als Achillesferse der Ökonomie dargestellt und wenn es zum Thema Aktien wechselt, dann wird genau dieser Punkt aber einfach vergessen und von einem statischen Markt ausgegangen.
Auch neue Aktien können "produziert" werden indem Unternehmen an die Börse gehen die das bisher nicht gemacht haben.
Und Bitcoin ist keine Währung weil er schwankt? Ich lebe nahe der schweizer Grenze und in Euro gerechnet schwankt meine schweizer Kaufkraft auch teilweise beträchtlich.
Ist der CHF jetzt deshalb keine Währung? Und als Lösung des ganzen Problems wird vorgeschlagen Wechselkurse weltweit zu fixieren. Das klingt für mich nach einer Steilvorlage für Fragilität...


Dominik sagt am 29. November 2021

Guten Abend,
ich bin 30 Jahre alt und schon lange Hörer ihres Podcasts. Durch Sie bin ich auch vor einigen Jahren zum Thema Investieren und Geldanlage gekommen. Mittlerweile bin ich aber aus Überzeugung von ETFs hin zu Bitcoin geschwenkt und war erschüttert über das Unwissen von Frau Herrmann im letzten Podcast zu Bitcoin.

Ich finde es gut, dass sie allen Seiten eine Stimme geben wollen. Ich fände es wichtig aber auch einen Bitcoin Vertreter zu interviewen um hier die Missstände aufzuklären, dass z.B. Bitcoin kein gutes Geld sei und nur ein Spekulationsobjekt. Meiner Meinung nach macht erst Bitcoin das Sparen wieder sinnhaftig, da es unter keinen Umständen inflationieren kann.

Als Interview-Partner wären meiner Meinung nach Roman Reher (bekannt durch den YouTube Kanal „BlockTrainer“) oder Patrick Lemke (bekannt durch den Podcast „Einundzwanzig“ und „Zeit, Geld & Wirtschaft“) interessant.

Das wäre super interessant diese Perspektive zu bekommen.

Liebe Grüße
Dominik


Finanzwesir sagt am 30. November 2021

Hallo zusammen,
genau das ist "Der Finanzwesir rockt". Wir finden interessante Menschen und lassen sie reden...
Was das Ableiten konkreter Handlungsanweisungen angeht: Da habe ich ja mehrfach nachgefragt. Frau Herrmann hat keine.

"Eine Art eines philosophischen Salons für private „Klein“-Investoren,"

Die meisten Anleger interessieren sich eher für die Antwort auf die Frage: "Was ist der beste ETF?" :-)
Nach knapp 25 Jahren an der Börse bin ich der Meinung, dass dieses "philosophische Geschwätz" mehr Rendite bringt, als die Jagd nach der neuen heißen WKN.
Aber diese Erkenntnis braucht Zeit. Die meisten Anleger bleiben auf immer in der Phase der Produktfokussierung stecken. Aber nicht umsonst sind die ganz großen Investoren alle halbe Philosophen... Deshalb: Macht Euch keine Hoffnung auf eine neue Reihe "Der Finanzwesir philosophiert". Aber es wird immer wieder solche Podcasts wie diesen hier geben.
Gruß
Finanzwesir


Helma sagt am 01. Dezember 2021

Schade finde ich ein bischen das die These, "kein Zusammenhang zwischen Bruttosozialprodukt und Aktienkurs" einfach stehen gelassen wurde. Gerade für Startups hat eine gute Bewertung und Marktsituation ein enorme Auswirkungen was die Beschaffung von Kaptial angeht, auch größere Unternehmen können einfacher investieren mit einer guten Bewertung, nicht zu letzte bekommen die Mitarbeiter mehr in die Tasche und geben das Geld vor Ort wieder aus. Auf der anderen Seite versuchen die im Podcast ja auch schon behandelten Shortseller von wirtschaftlichen Erfolg abgekoppelt bewertete Unternehmen wieder gesundzuschrupfen an der Börse. Diese Sachen werden bei so einem einfachen Weltbild ja völlig aussen vor gelassen.


Philipp123 sagt am 01. Dezember 2021

Adam Smith kann man sehr gut lesen und spätestens wenn die wunderschönen irischen Frauen und starken Burschen angepriesen werden, merkt man, dass er kein trockener Ökonom war.
Frau Herrmann einzuladen war genial und auch klasse, dass sie gekommen ist. Es gibt glaube ich wenig Podcaster, die Gäste mit solch gegenteiliger Meinung einladen und sie dann auch sprechen lassen.
Vielleicht sollte sich Frau Herrmann etwas auf diesem Blog umschauen oder einfach mal den Kommer lesen. Ich finde es immer wieder faszinierend, wie Ökonomen, oder solche die von ihnen schreiben, ein Verständnis für Geld und Kapital entwickeln und gleichzeitig über Investments keinen Schimmer haben.
Schleierhaft ist mir auch, warum das gesamte linke Spektrum so ablehnend gebenüber Aktien ist. Ist die Aktie nicht eine Beteiligung am Produktivkapital? Den gesamten Aktienmarkt als einzige Blase zu bezeichnen ist nicht haltbar.
Es kann ja sein, dass die Rendite fällt, wenn mehr Leute Aktien kaufen, aber gleichzeitig wird für die Unternehmen die Beschaffung von Eigenkapital billiger und es wird lohnender eine Aktiengesellschaft zu sein, ergo bestehende Unternehmen werden in AGs umgewandelt und neue gegründet. Hierbei muss man auch nicht befürchten, dass irgendwann die Unternehmen ausgehen. Der Finanzwesir hat mal überschlägig ausgerechnet, dass in allen Aktiengesellschaften der Welt gerade mal so viele Menschen arbeiten wie in Deutschland leben.

"Der Finanzwesir philosophiert" würde ich begrüßen. Das wäre allemal besser als dieses philosophisch angehauchte Investmentgefasel in letzter Zeit ;)


Etfler sagt am 01. Dezember 2021

Lieber Finanzwesir,

die letzte Nachkommastelle bringt nix, wenn ich dafür unverhältnismäßig Lebenszeit opfern muss. Da sind wir in einem Boot!

Frau Hermanns Kritik ist interessant, aber hilft nicht. Wenn sie sich auf die umlagefinanzierte Rente verlässt, ist das kapitalismuskritisch vielleicht konsequent, blendet aber die Demographie völlig aus. Ich finde dies daher keine gute Lösung.

Ich betrachte meine etf als Investition und halte die Gewinne der Unternehmen, die z.T. als Dividende ausgeschüttet werden und die auch schwanken, für den relevanten Zielparameter. Im Prinzip wie die Aktieneinzelanlage, nur ohne Versuch außer Vergangenheit eines einzelnen Unternehmens in die seine Zukunft blicken zu wollen. Der Kurs des etf spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Es ist aber klar, dass Vermögenswerte im Lauf der Zeit durch Inflation und zunehmenden Wohlstand der Weltbevölkerung im Preis langfristig nur steigen können (Schwankungen inbegriffen). Relevant ist letztlich nichtsdestotrotz Preis eines etf, sondern was ich mir ggf. dafür kaufen kann (wenn erforderlich).


Slowroller sagt am 30. November 2021

@Dominik
Ich befürchte eher, dass du dir nicht ganz im Klaren bist, was "Geld" eigentlich ist, welchen Zwecken es dient und welche Verhaltensweisen von Geld für die Volkswirtschaft wichtig sind.
Ich denke, dass auch alte Bitcoinhasen ihre Bit-Ketten eher als virtuelles Gold kaufen als dass sie damit ernsthaft etwas bezahlen.


Georg sagt am 30. November 2021

Liebe Wesire und Rocker, danke für den sehr guten Beitrag. Hebt sich durch die besondere Sichtweise angenehm von dem üblichen Einerlei ab.

Frau Herrmann hat Recht: Wenn alle Aktien kaufen, um die Rente zu sichern, werden die Preise durch die Decke schießen. Die erwartete Rendite wird dann gegen 0 gehen. Aber zu hohe Preise werden auch zu mehr Verkäufen führen. Die Aktiengesellschaften könnten leicht an viel Geld für ihr Business kommen. Was passiert also mit den Preisen und damit den erwarteten Renditen, wenn alle Länder für die Rente massiv Aktien kaufen? Wie gut skaliert dieses System?

Den "Wahnsinn" am Aktienmarkt kann ich heute aber nicht erkennen. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis für den globalen Aktienmarkt ist 17,75 (FTSE All-World, Stand 31.10.2021 von extraETF.com). Das entspricht einer Bruttorendite von ca. 5,6%.


Ramstein sagt am 01. Dezember 2021

Sehr interessantes Interview, das die grenzenlose Unwissenheit von Frau Herrmann in den Spotlight stellt. "Aktienkurse steigen weil immer mehr Leute in die gleiche Anzahl Aktien getrieben werden." Koinzidenz deutet sie Kausalität um. Als Interviewer hätte man ihr z. B. diese Statistik um die Ohren hauen sollen:
https://www.goingpublic.de/going-public-und-being-public/weltweites-ipo-rekordjahr-nur-nicht-in-deutschland/
Ihre Aussage zur Lohnquote wurde auch einfach so hingenommen. Keine Nachfrage, was sie denn meine, wie hoch diese ist und wie hoch sie ihrer Meinung nach sein soll.


Michael F. sagt am 03. Dezember 2021

Den meisten Ausführungen von Frau Herrmann kann ich, bei manchen vielleicht etwas relativiert, zustimmen.

Bitcoin und Konsorten gegenüber bin ich äußerst skeptisch, es hat für mich alle Anzeichen eines Pyramidensystems, und den versprochenen Nutzen als globales Zahlungssystem (AKA "Geld") kann er bei der derzeitigen Gestaltung so weit ich es begreife technisch gar nicht einhalten. Wenn dann die Befürworter vor nahezu religiösem Eifer nur so strotzen... kommt mir die Pascalsche Wette in den Sinn - die unbegrenzten Möglichkeiten des Bitcoin im Verhältnis zu begrenzten Einsätzen - wäre doch irrational da nicht mitzumachen (wenn man davon absieht dass sich eventuell nicht der Bitcoin sondern einer der zig Wettbewerber oder gar ein komplett neues, verbessertes System sich durchsetzt, oder das ganze vielleicht irgendwann sogar verboten wird, ich sage nur Ausbluten von Steuervermeidung/-hinterziehung, Geldwäsche etc.)

Die politischen Entscheidungen, die sozialen Einschnitte, die seinerzeit Rot/Grün getroffen haben, und die die folgenden Regierungen trotz der immer offensichtlicher werdenden Fehlerhaftigkeit nicht korrigiert haben (was in meinen Augen mindestens genauso schlimm ist - für mich war keine einzige der Parteien, die eine Chance hatte in den BT gewählt zu werden das kleinere Übel), sind schädlich für das soziale Gleichgewicht, den wirtschaftlichen Fortschritt und natürlich auch für das Rentenniveau. Man braucht sich nur folgendes klarmachen:

  • Die Einschnitte haben nicht nur den Niedriglohnsektor ausgebaut, sondern auch die Lohnsteigerungen in den mittleren Einkommensschichten ausgebremst, da durch das Damoklesschwert des schnellen sozialen Abstiegs die Angestellten erpressbarer wurden. Die Lohnquote am Sozialprodukt wurde dadurch insgesamt gedrückt. So hatten sich die Planer den Tripple-down-Effekt wahrscheinlich nicht vorgestellt (hoffe ich doch mal; man soll ja keine böse Absicht unterstellen wenn das Ergebnis nicht durch Unfähigkeit erklärt werden kann). Da die umlagefinanzierte Rente anhand des Lohns berechnet wird und sich hauptsächlich aus der Lohnquote speist ist sie doppelt betroffen. Würden alle in die Rente einzahlen wäre der Effekt nur etwa halb so hoch.

  • Technischer Fortschritt ereignet sich dann, wenn es sich lohnt, darin zu investieren. In England begann das Industriezeitalter als die Löhne ein hohes Niveau hatten. Erst dadurch wurde es lukrativ mittels Anschaffung von teuren Maschinen Arbeit einzusparen. Billige Arbeit macht das uninteressant. Durch das hohe Lohnniveau konnten sich die Leute die dann auch mehr Produkte leisten, was die Nachfrage sichergestellt hat. Bei niedrigen Löhnen stagniert die Nachfrage, was Investitionen noch uninteressanter macht.

Wenn in ein paar Jahren die Arbeitskräfte knapp werden, kann sich das aber wieder umkehren. Höhere Löhne -> verstärkte Investitionen -> höhere Produktivität -> Unterstützung der Rente. Bis dann irgendwann jede Arbeit automatisiert werden kann. Ob das dann dys- oder utopisch wird... keine Ahnung.

Bei finanzgedeckter Rente bin ich weniger skeptisch als Frau Herrmann, so lange sie sich in einem vernünftigen Rahmen bewegt. In den Kommentaren wurde ja schon beschrieben, dass bei der Anzahl der Aktiengesellschaften noch Luft nach oben ist, das ist aber ein langfristiger Effekt (ähnlich wie das Verhältnis voting-/weighting-machine). Die Aktienkurse sind klar nicht zu 100% von der wirtschaftlichen Situation der Unternehmen abgekoppelt, es dürfte aber offensichtlich sein, dass andere Parameter mittlerweile einen wesentlich größeren Einfluss haben. Der Norwegische Staatsfond investiert so weit ich mich erinnere gerade deswegen nicht im Inland, um in dem relativ kleinen Markt keine Blase und Inflation zu produzieren. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass, würde die deutsche Rente kapitalgedeckt funktionieren, innerhalb von ein paar Jahren die DAX-Unternehmen komplett in der Hand der Rentenversicherung wären. (ein "Staats"-fond könnte natürlich auch Anteile an nicht börsennotierten Unternehmen halten, z. B. solcher die durch Erbschaftsteuer anfallen)
www.bmas.de/DE/Service/Statistiken-Open-Data/Statistik-zu-Riester-Vertraegen/statistik-zusaetzliche-altersvorsorge.html zeigt, dass etwa 2/3 der Riesterverträge Versicherungsverträge sind, und deren Anzahl in den letzten Jahren abnimmt. Betragsmäßig habe ich auf die Schnelle nichts dazu gefunden. Das große Problem, welches ich daran sehe ist folgendes: Diese Riester-Versicherungsverträge sind im Prinzip nicht kapital- sondern geldgedeckt. Dabei sehe ich nur das als Kapital an, was Produktivität schafft. Die Versicherungsverträge können wegen der Garantien und des niedrigen Zinsniveaus aber gar nicht in "echtes" Kapital investieren, und Innovationspotential wird nicht ausgeschöpft.

Der Finanzrocker hat die automatischen Verkäufe zum Tiefststand angesprochen - ich bin gerade etwa halb durch Fred Schweds "WHERE ARE THE CUSTOMERS' YACHTS?" und habe an dieser Stelle des Buches ("robot trusts" in den 1930ern?) schon mindestens das vierzigste Déjà-vu:

INVESTMENT TRUSTS
THE HELL-PAVING CONSTRUCTION COMPANY
Thus far we have been discussing management trusts-the kind in which a board of managers decides by reason, or something, what shall be done. "Fixed" trusts,(*) of the sort that were enthusiastically spawned in the late twenties, deserve a word, if only as an example of fine intentions and bad results. The basic idea in this case was to remove the factor of human fallibility, a factor which, we must all admit, certainly needs removing. Therefore they were set up in this way: a list of the "best" securities was decided on, once and for all. These were purchased and put into the portfolio-after that no human hand was to touch them. One proviso was added. If they ever stopped paying dividends, they were then and there to be sold out. Automatically, both folly and dishonesty were banned.
The way this panned out, in case you haven't heard, was nothing short of cataclysmic. Long before the blue chips ceased to pay dividends they had gone way down. Then when they actually omitted the first dividend all these robot trusts had to try to sell them at once. To make it a trifle worse, some nasty men, who perceived what must of necessity happen, sold short just ahead of them.

(* The trusts now in existence which may be termed "fixed" are not fixed in the rigid fashion described here. Some of these are what are known as "special industry" trusts, the portfolio dedicated to securities of one sort exclusively, such as chemical company stocks, bank stocks, or railroad bonds. This device for investing broadly in a chosen industry seems reasonable. Whether or not it is, I will let you know authoritatively in five or ten years.)


Bamigoreng sagt am 04. Dezember 2021

Lieber Finanzwesir und -rocker,
vielen herzlichen Dank für euren immer wieder bewusstseinserweiternden Podcast. Auch ich finde die Beleuchtung der elementaren wirtschaftlichen Zusammenhänge die hinter unseren Investments stehen sehr interessant/essentiell. Meinen Dank hierfür auch an Frau Herrmann.
Dennoch hatte ich kurz Schnappatmung, als sie von massiver Überbewertung der Märkte seit den 80er sprach und ihre Begründung dafür. Schaut man sich die DowJones-Kurve seit Anfang des letzten Jahrhunderts an, könnte man tatsächlich in eine Coronafallzahl-Panik verfallen aber auf der logarithmischen Aufarbeitung sieht es ja dann ziemlich "langweilig" und unaufgeregt aus. Auch die Spekulationsblase incl. der Weltkrise Anfang des 20sten Jahrhunderts kommt dann auch richtig zum Vorschein.
Oder übersehe ich hier was?
LG Bamigoreng


Christopher sagt am 09. Dezember 2021

Es ist immer sehr schade wenn die eigene Meinung oder Ansicht als unfehlbar dargestellt wird. Letztendlich ist Frau Herrmann auch nur eine Person, die die "wahre Religion der Ökonomie" verbreitet. Wirtschaftswissenschaft und Wissenschaft im Allgemeinen ist immer in Bewegung. Hier fehlt mir die Selbstreflektion der eigenen Meinung. Wer sind "die Reichen" und wo wird berücksichtigt, dass wenn eine Person meint sie verdient zu wenig, einen anderen Beruf ergreifen kann? Leider beschäftigen sich "die Linken" wenig mit der Thematik "Fleiß und Faulheit (Faulheit gerne auch Genügsamkeit). Interessant ist, dass sich gewissen Themen (Kritik der Monopole), mit denen der Libertären (Hayek, von Mises) überschneiden. Beide Seiten streben keine Mono- oder Oligopole an.

Leider gibt Frau Herrmann auf Themen wie Altersvorsorge bewältigt werden soll, keine vernünftige Antwort. Das erinnert mich an den Satz: "Fragen Sie eine Person nie nach ihrer Meinung, nach ihren Prognosen oder nach ihrem Rat. Fragen Sie nur danach, was sie in ihrem Portfolio hat oder nicht hat." Nassim Taleb.

Woher kommen die Geldströme im Alter? Letztendlich wieder eine Umverteilungsfrage. Auch hier vermisse ich Fragen wie, "Warum hat jemand nicht 40 Jahre gespart?" Man vermisst die Frage der Eigenverantwortung. Wenn Altersvorsorge keinen Sinn hat, wie soll dann ein vernünftiges Leben funktionieren?

Letztendlich wird viel kritisiert aber keine Lösungsvorschläge unterbreitet.

VG


Hansolol sagt am 15. Dezember 2021

Wenn jetzt durch eine kapitalgedeckte Rente viele Daimler Aktien gekauft werden, steigen die Preise, das würde ich auch so sehen. Die Preise steigen aber nur solange, wie jemand anders dafür bereit ist, den gestiegenen Preis zu bezahlen. Solange das der Fall ist, steigt die Aktie weiter. Woher kommt jetzt das Geld, was die Käufer für die gestiegenen Aktie hinlegen? Kommt das alles aus Krediten, oder wird es vielleicht in einer gut laufenden Firma verdient, die in einem gesunden wirtschaftlichen Umfeld gute Gewinne macht und gute Gehälter zahlt? (Also Wohlstand anders wie die Banken real erschafft) Worauf ich hinaus will: Solange teuer werdenden Aktien gekauft werden, kann das wirtschaftliche Umfeld doch gar nicht so schlecht sein und es ist eben keine Blase, sondern tatsächlich steigender Wohlstand.


Karsten sagt am 21. Dezember 2021

Vorsichtiger Beginn, vorbehaltlich des roten (TAZ)Labels. Zunehmend interessante und positiv überraschende Erkenntnisse. Vollmundig aufbauende Euphorie. Leichte Bitterkeit. Fader Abgang. Nachklingende Verwunderung.

Diese Frau ist eine Wucht, ob ihres klaren Verständnisses und der einfachen Beschreibung großer Zusammenhänge der Volkswirtschaften und ihrer Entwicklungen. Ich habe mir gleich weitere Podcastvorträge auf verschiedenen langen Autofahrten angehört. Einfach eine Klasse für sich!

Leider hatten die sonst so souveränen Gastgeber einen kleinen Hänger beim, selbst verzapften, Schwenk in Richtung Kryptos. Die kurzen Beträge klangen leider wie die hämischen und unkundigen Beiträge der Arbeitskollegen bei diesem Thema, z.Teil klang etwas Altersstarrsinn durch. Schade.
Die Überraschung war dann doch herauszuhören, als diese Frau keinerlei (aber doch erwartete) Meinung zu ihrer Geldanlage und dgl. hatte, bzw. dies vorgab. Kein Interesse? Oder einfache kein Interesse über ihrer Unsicherheiten zu sprechen?

Interessant wäre mal eine Diskussion mit Herrn Zitelmann.
Die hohe Kunst der Moderatoren wäre dann noch, wenn beide die Denkweisen ihres Gegenüber respektieren könnten und es nicht zu Grabenkämpfen und somit Verlierern kommen würde. Vielen Dank für diesen kurzweiligen Podcast!


Marcus sagt am 04. März 2022

Faszinierend. So viel theoretisches (und interessantes) Wissen, ohne jeden praktischen Alltagsnutzen.

Das Geldschöpfung aus dem Nichts zu Blasenbildung, bis hin zu regelmäßigen Währungsreformen führt, ist ja nichts Neues.
Die Quintessenz ist doch: selbst wenn ein Großteil der Wertsteigerung bei Aktien nicht aus der Produktion stammt, sondern einfach nur inflationäre Luft ist, muss ich das Spiel doch mitspielen. Denn wenn ich es nicht tue, werde ich ja Opfer eben dieser Inflation, die sich ja letztlich im Gesamtsystem niederschlägt, also auch bei Mieten, Lebensmitteln, etc. Das mag man sich politisch ja anders wünschen und kann auch darauf hin arbeiten (Stichwort Kohl-Jahre), aber bis dahin muss der Otto-Normal-Verbraucher ja mit den Gegebenheiten umgehen.

Die Bemerkung, dass der einzige praktikabele Weg die selbstgenutzte Immobilie ist, weil man sich ja zumindest die Miete spart, zeugt meiner Meinung nach von viel VWL- aber wenig BWL-Wissen. Es gibt nun wirklich genug Studien die belegen, dass sich Kaufen und Mieten, rein finanziell betrachtet, in etwa auf dasselbe raus kommen (es sei denn, man lässt seine Immobilie verrotten oder repariert alles selbst und ignoriert den eigenen Stundenlohn).

Also: interessant ja, hilfreich nein.


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