01. Dezember 2016
Ist's Wahnsinn auch, so hat es doch Methode
Leser J. will wissen
Ist die Kombination MSCI World/EM einem positiven Schwarzen Schwan Event stark genug ausgesetzt? Taleb schlägt in seinem Buch "Der Schwarze Schwan"* vor (circa) 90% in den risiko-armen Teil und 10% in den risikobehafteten Teil zu investieren. Soweit deckt sich das ja mit deinen Tipps.
Jetzt aber zu dem Teil, der mich stutzig gemacht hat. Taleb schreibt, dass der risiko-behaftete Teil so aggressiv und "leveraged" wie nur irgend möglich sein soll, um dem positiven Schwan gegenüber maximal ausgesetzt zu sein. Daher hier meine Frage: Passt die Kombination MSCI World/EM auf diese Beschreibung? Alles in allem kommen diese Posten mir immer noch einigermaßen gemäßigt vor - zumindest aber nicht "maximal aggressiv".
Einen alternativen, aggressiveren Vorschlag habe ich aber auch nicht parat. Eventuell etwas Hightech-lastigeres?
Für alle, die mit Taleb nicht so vertraut sind hier der entsprechende Auszug aus "The Black Swan" von Nassim Nicholas Taleb
"I am trying here to generalize to real life the notion of the "barbell" strategy I used as a trader, which is as follows. If you know that you are vulnerable to prediction errors, and if you accept that most "risk measures" are flawed, because of the Black Swan, then your strategy is to be as hyperconservative and hyperaggressive as you can be instead of being mildly aggressive or conservative.
Instead of putting your money in "medium risk" investments (how do you know it is medium risk? by listening to tenure-seeking "experts"?), you need to put a portion, say 85 to 90 percent, in extremely safe instruments, like Treasury bills—as safe a class of instruments as you can manage to find on this planet.
The remaining 10 to 15 percent you put in extremely speculative bets, as leveraged as possible (like options), preferably venture capital–style portfolios. That way you do not depend on errors of risk management; no Black Swan can hurt you at all, beyond your "floor," the nest egg that you have in maximally safe investments.
Or, equivalently, you can have a speculative portfolio and insure it (if possible) against losses of more than, say, 15 percent. You are "clipping" your incomputable risk, the one that is harmful to you.
Instead of having medium risk, you have high risk on one side and no risk on the other. The average will be medium risk but constitutes a positive exposure to the Black Swan. More technically, this can be called a "convex" combination. Let us see how this can be implemented in all aspects of life."
Der Finanzwesir antwortet
Was will uns der Meister damit sagen und was ist eine Barbell-Strategie? Ist barbell jugendfrei?
Eine Neuland-Recherche führt uns zur Wikipedia und nur halbjugendfreien Bildern.
"Ein Barbell ist eine spezielle Form des Piercingschmucks. Er wird häufig durch das Zungenpiercing getragen, kann jedoch auch bei vielen anderen Piercings eingesetzt werden." (Wenn nicht Zunge, dann bedingt jugendfrei, Anm. Finanzwesir)
Quelle
Tackert sich Taleb mit Metall voll und tradet dann? Leo.org gibt Entwarnung: Barbell = Langhantel. Eine "barbell strategy" ist also eine Hantelstrategie.
Was meint Taleb damit?
Schauen wir uns den Aufbau einer Hantel an: Links und rechts hängen die Gewichte, verbunden durch eine dünne Stange. Wenn wir diesen Aufbau auf die einzelnen Risikoklassen übertragen, dann stellt das linke Gewicht den RK1-Anteil da, das rechte Gewicht ist der RK3-Anteil und dazwischen ist nichts.
Jetzt zu Leser J.
"Daher hier meine Frage: Passt die Kombination MSCI World/EM auf diese Beschreibung? Alles in allem kommen diese Posten mir immer noch einigermaßen gemäßigt vor ‒ zumindest aber nicht "maximal aggressiv".
Nicht im geringsten. Die auf diesem Blog vorgestellten Strategien sind für Weicheier und Warmduscher. Das passive Konzept (rumsitzen und maximal diversifiziert auf die Marktrendite warten) ist die komplette Negierung der Taleb’schen Hantel. Maximal aggressiv ist da nichts. Deshalb ist diese Strategie auch für Normalsterbliche geeignet.
Was macht der Taleb denn?
Er weiß genau: 90 %, 95 % oder gar 99 % seiner Wetten werden nicht funktionieren, aber mit der einen Wette, die aufgeht, verdient er 5.000 oder 10.000 Prozent.
Eine Kamikaze-Strategie. Schick 100 Flugzeuge los. 99 schießt die Schiffs-Flak ab, aber einer schlägt ins Munitionsdepot des Flugzugträgers ein. Dann spielen die 99 abgeschossenen keine Rolle mehr. Das ist extrem aggressiv.
Grundsätzlich hat Taleb mit seiner Strategie recht. Aber den Deutschen drängt es zur Mitte. Er nimmt gerne vom Bulgaren 1 % mehr fürs Tagesgeld und greift bei Aktien nicht ins Rendite-, sondern ins Garantieregal.
Talebs Strategie, den Löwenanteil ganz sicher zu verstauen, mit dem Rest aber wirklich krasse Wetten einzugehen, funktioniert für Normalsterbliche aus den folgenden Gründen nicht:
Mentale Gründe
Man muss richtig gut in Wahrscheinlichkeitsrechnung und ziemlich gefühlskalt sein, um sich einer Strategie anzuvertrauen, bei der man fast immer verliert. Gewinnt man aber, sprengt man die Bank.
Die meisten Menschen fühlen sich erst dann mental ausgeglichen, wenn einem Verlust gut zwei Gewinne gegenüberstehen.
Diese Reihe muss man erst einmal aushalten: -10.000 €, -30.000 €, -12.000 €, -35.000 €, -24.000 €, -5.000 €, -87.000 €, -45.000 €, -83.000 €, + 100.000.000 €.
Wenn Ihnen das zu viele Nullen sind, streichen Sie welche weg, bis Sie sich wohlfühlen. Egal, ob Sie 10 € verlieren und 1.000 € gewinnen oder 10.000 € verlieren und 100.000 € gewinnen: Der Multiplikator bleibt.
Darum geht es Taleb, wenn er von "Leverage" spricht. Er will seinen Einsatz nicht verdrei- oder verfünffachen. Seine Multiplikatoren heißen 500, 1.000 oder 10.000.
Lebenspraktische Gründe
Taleb zockt ja nicht willenlos herum, sondern überlegt sich genau, welche Wetten er eingeht. Dazu braucht er die vier G, die jeder aktive Anleger braucht: Geld, Gedanken, Geduld und Glück. Geduld und Glück gestehe ich Ihnen zu, aber Geld und Gedanken nicht.
Hm, arroganter Finanzwesir, hält mich für arm und dumm.
Durchaus nicht, lassen Sie es mich erläutern.
Was ist mit Gedanken gemeint?
Gedanken, auf die man kommt, wenn man Plato liest, Game of Thrones schaut, dann bei einem Spaziergang am Flussufer den Krähen nachschaut (sich dabei an Konrad Lorenz erinnert) und darüber philosophiert, was Plato, Brienne von Tarth und Sturmkrähen gemeinsam haben und wie man daraus eine Börsenstrategie destillieren kann.
Das Gefasel der Finanzpornografen vom Zeitungsstand meine ich jedenfalls nicht.
Grundsätzlich traue ich Ihnen solche Gedanken schon zu. Alleine ich glaube, dass Sie gegen den Endlevelgegner "Tagesgeschäft" keine Chance habe. Sie haben so viel Dringendes (der Müll muss noch raus!) zu tun, dass Sie es nicht bis zum Wichtigen schaffen.
Geniale Ideen gibt’s nicht ohne In-die-Luft-starren und Nasebohren. Soviel Zeitverschwendung muss sein.
Ihnen fehlen die richtigen Produkte
Taleb ist Börsenprofi. Ihm stehen ganz andere Finanzinstrumente zur Verfügung als Ihnen. Er muss
- nicht den Mist kaufen, den die Finanzindustrie für den Endkunden vorgesehen hat. Also schief konstruierte Produkte, die die Bank systematisch bevorzugen,
- sich nicht dem Welpenschutz des Regulators beugen (Herr Taleb, diese Risikoklasse liegt über Ihrem Gehaltsniveau), sondern kann in die Vollen gehen.
Außerdem handelt Taleb viel preiswerter. Seine Handelskosten liegen bei 0,02 bis 0,05 %. Mit anderen Worten: Er bringt zwischen 20 und 50 Transaktionen an den Start, während wir als Retail-Muppets froh sind, eine Transaktion bezahlt zu haben.
Ihnen fehlt die Mathematik
Alle, die
- eine Fourier- von einer Laplace-Transformation unterscheiden können und
- diese Transformation auch durchführen können
dürfen sitzen bleiben. Der Rest sieht die rote Karte.
Ihnen fehlt das Geld
Wie sagt Taleb:
".. .say 85 to 90 percent, in extremely safe instruments, like Treasury bills…"
Kein Problem, das schaffen wir als Privatanleger. Was bleibt noch übrig, wenn wir 85 % in deutschen Staatsanleihen haben?
Vermögen | RK3-Anteil | RK1-Anteil |
---|---|---|
10.000 € | 1.500 € | 8.500 € |
20.000 € | 3.000 € | 17.000 € |
40.000 € | 6.000 € | 34.000 € |
60.000 € | 9.000 € | 51.000 € |
100.000 € | 15.000 € | 85.000 € |
150.000 € | 22.500 € | 127.500 € |
200.000 € | 30.000 € | 170.000 € |
250.000 € | 37.500 € | 212.500 € |
Unser Ziel: Das "nestegg" (den RK1-Anteil) mithilfe des RK3-Anteils ordentlich zu vermehren. Wir schicken unsere Kamikaze-Flieger los und hoffen auf einen Volltreffer.
In diesem Beispiel kommen zwei von zehn durch. 80 % des RK3-Anteils verfallen wertlos, die restlichen 20 % bringen die Rendite.
Was wird aus 20 % Rest-RK3, wenn wir diesen Betrag mit 1.000 %, 5.000 % oder gar 10.000 % multiplizieren?
20 % Rest-RK3 | 1.000 % | 5.000 % | 10.000 % |
---|---|---|---|
300 € | 3.000 € | 15.000 € | 30.000 € |
600 € | 6.000 € | 30.000 € | 60.000 € |
1.200 € | 12.000 € | 60.000 € | 120.000 € |
1.800 € | 18.000 € | 90.000 € | 180.000 € |
3.000 € | 30.000 € | 150.000 € | 300.000 € |
4.500 € | 45.000 € | 225.000 € | 450.000 € |
6.000 € | 60.000 € | 300.000 € | 600.000 € |
7.500 € | 75.000 € | 375.000 € | 750.000 € |
Wie wirkt sich das auf unser Gesamtvermögen aus? Hier noch einmal die Parameter:
- RK3 = 15 %
- Verlustquote RK3 = 80 %
Gewinn RK3 | Auswirkung auf das Gesamtvermögen |
---|---|
1.000 % | 15 % |
5.000 % | 135 % |
10.000 % | 285 % |
Einmal im Detail durchexerziert mit 100.000 €
- RK1 = 85.000 (85 % von 100.000 €)
- RK3 = 15.000 €
- 80 % RK3-Verlustquote: Es bleiben 3.000 € übrig
- 1.000 % Gewinn: Aus 3.000 € werden 30.000 €
- 5.000 % Gewinn: Aus 3.000 € werden 150.000 €
- 10.000 % Gewinn: Aus 3.000 € werden 300.000 €
Das neue Gesamtvermögen setzt sich zusammen aus RK1 (85.000 €) plus das neue RK3.
Gewinn | neues Gesamtvermögen | altes Gesamtvermögen | Delta |
---|---|---|---|
1.000 % | 115.000 € | 100.000 € | 15 % |
5.000 % | 235.000 € | 100.000 € | 135 % |
10.000 % | 385.000 € | 100.000 € | 285 % |
Was lernen wir daraus?
- Herr Taleb ist ein reicher Mann, denn mit 15.000 € kann man dieses Spiel nicht spielen. Da fehlen zwei bis drei Nullen. 1,5 bis 15 Millionen scheinen mir eine realistische Größe zu sein. So kann ich Deals in der Größenordnung zwischen 100.000 € und 500.000 € eingehen. Für ein Peanuts-Plus von 3.000 € lohnen sich die ganzen Spaziergänge am Fluss nicht. Ich brauche diese Summen nicht als flüssiges Eigenkapital. Ich kann auch hebeln, wie Taleb es vorschlägt. Aber wenn die Kurse nach Süden gehen, muss ich schnell liquidieren oder nachschießen, sonst bin ich sofort bankrott. Wie man es auch dreht und wendet: Für zwei Mark fuffzich bekomme ich keine Hantel.
- Ich brauche Deals, die zwischen 5.000 und 10.000 Prozent bezogen aufs Eigenkapital abwerfen. Das sind Werte, bei denen jeder rechtschaffene Altlinke nur noch "obszön" stammelt. Da ist aber nix obszön, das diktiert die Mathematik der Hantel. Wenn ich auf der einen Seite Negativzinsen als Aufbewahrungsgebühr für maximale Sicherheit zahle, brauche ich auf der anderen Seite der Hantel Prozente, die in den Himmel stürmen.
Fazit
Jemand wie Taleb
- hat sich Gedanken gemacht,
- hat seine Mathematik im Griff,
- hat Zugriff auf "the real stuff",
- handelt sehr preiswert,
- und hat Geld.
Deshalb sage ich: Don’t do this at home! Immer schön passiv bleiben!
Klarstellung I
Dass passives Herumsitzen auf einer World/EM-Kombi in Deutschland als aggressives Verhalten gewertet wird, liegt am gestörten Verhältnis zur Aktie und zum Risiko. Das Weltportfolio ist kein Pitbull, sondern ein harmloser und familientauglicher Pudel.
Klarstellung II
An Talebs Strategie gibt es nichts auszusetzen. Das ist kein Gezocke, sondern die Arbeit eines Profis, denn
"Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden."
Arthur C. Clarke
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