10. Mai 2023
Hin und her macht Taschen voll
Heißt das nicht eigentlich "Hin und Her macht Taschen leer"? Schon allein des Reimes wegen? Ja, aber heute wollen wir uns auf den Spuren Charlie Mungers bewegen, dessen Ratschlag an alle Investoren lautet
"Invertieren, immer Invertieren"
Invertieren? Das Neuland definiert Invertieren wie folgt:
"[gehoben, fachsprachlich] ⟨etw. invertiert (sich)⟩, ⟨jmd., etw. invertiert etw.⟩ umkehren, ins Gegenteil verkehren; umstellen, von der normalen, üblichen Reihenfolge abweichen"
Fangen wir an mit unserem Projekt Trotzkopf.
Das Wirkprinzip
Erst Asset A kaufen, dann verkaufen, statt dessen Asset B kaufen; nur um dann bei Asset C zu landen - das machen wir nicht, das ist das verachtenswerte Performance Chasing.
Wir machen das edle Hin und Her - von Profis auch als Rebalancing bezeichnet. Jedes Produkt im Depot hat eine bestimmte Gewichtung und wenn diese Gewichtung aus dem Ruder läuft, schaufeln wir so lange hin und her, bis die Häufchen wieder so groß sind, wie sie sein sollen.
Rebalancing: Von Null auf Hundert
Krypto ist die Petrischale der Geldanlage. Wofür gesittete Anlageklassen wie Aktien, Anleihen und Trendfolge Jahre brauchen, gedeiht hier in Stunden.
Mir geht es nicht darum, Sie für die Anlageklasse Krypto zu begeistern, sondern Ihnen Rebalancing im Zeitraffer zu präsentieren. Das, was ich im folgenden beschreibe, ist ein universelles Phänomenen, das für alle Anlageklassen gilt.
Ich habe - in Vorbereitung für diesen Artikel - einen kleinen Kryptobot gebastelt und auf die Menschheit losgelassen. Sein Job: Jongliere drei Coins
- OKB (Utility-Token der Börse OKX)
- XRP (Ripple)
- XMR (Monero)
Das Depot ist gleichgewichtet. Der Rebalancing-Korridor beträgt ein Prozent - Kryptos müssen eng geführt werden. Gewichtungen zwischen 32 und 34 Prozent sind ok.
Der Auftrag an den Bot: Sollte ein Coin diesen Korridor verlassen, scheuche ihn mittels Rebalancing wieder zurück. Dieses Rebalancing ist rein volatilitätsgesteuert. Wenn die Coins sich im Gleichtakt bewegen, passiert nichts. Dann ist es reines Buy & Hold, oder wie man in Kryptokreisen sagt: HODL. Ja, alles VERSAL und mit Fehlschreiber.
Das Ergebnis
- Start des Portfolios: 30. März 2023
- Laufzeit bis zum 5. Mai 2023: 36 Tage
- Kaufpreis : 1.000 USDT
- aktueller Wert 2.885 USDT
- Rebalancings: 573
- Gewinn nach Abzug der Handelskosten, also der 573 Rebalancings: 188,55 %
Das Portfolio tuckert waagerecht vor sich hin, um dann in Zeiten hoher Volatilität treppenstufenartig nach oben zu springen.
Da haben wir doch jetzt ganz schick invertiert. Wir haben ein traditionelles Buy&Hold-Depot, das alle Abstürze zu 100 % mitmacht, in ein Depot transformiert, das Volatilität ausdrücklich begrüßt.
- Keine Chaos: Dann trottet das Depot halt - wie ein ganz gewöhnliches Buy & Hold-Depot - mit dem Markt nach oben und nach unten.
- Viel Chaos: Das Depot entfaltet seine Magie.
Und das ganze ohne intellektuellen Hokuspokus. Die Regel ist so simpel, dass sogar ein KI-freier Bot das schafft.
Was bringt reines Buy & Hold?
Coin | Anzahl bei Kauf | Kaufkurs | Kaufwert | Kurs 5.5.2023 | Wert 5.5.2023 | Delta |
---|---|---|---|---|---|---|
OKB | 7,775684 | 42,44 | 330,00 | 46,07 | 358,23 | 8,55 % |
XRP | 615,522354 | 0,53613 | 330,00 | 0,45895 | 282,49 | -14,40 % |
XMR | 2,119172 | 160,44 | 340,00 | 155,92 | 330,42 | -2,82 % |
Summe | 971,14 | |||||
-2,89 % |
Alle Angaben in USDT
Wie lese ich diese Tabelle?
Am 30. März habe ich für 340 USDT zu einem Kurs von 160,44 USDT 2,119172 Monero-Coins (XRM) gekauft. Diese Coins waren am 5. Mai bei einem Kurs von 155,92 USDT 330,43 USDT wert. Ich habe in diesen 36 Tagen mit meiner Monero-Position knapp 10 Euro verloren. OKB hat sich am besten entwickelt. Hier wurden aus 330 USDT 358 USDT. Ein Plus von 28 USDT in 40 Tagen.
Ripple (XRP): Ein Trauerspiel. Das ganze Depot hat knapp drei Prozent verloren.
Was bringt HODL+?
Coin | Anzahl bei Kauf | Anzahl 5.5.2023 | Zuwachs Coins |
---|---|---|---|
OKB | 7,775684 | 20,752087 | 166,88 % |
XRP | 615,522354 | 2.055,673178 | 233,97 % |
XMR | 2,119172 | 6,339071 | 199,13 % |
Alle Angaben in USDT, nach Transaktionskosten
Durch das muntere Hin und Her haben sich die Coins vermehrt wie die Karnickel.
- Ripple: Der XRP-Kurs ist um gut 14 % eingebrochen, aber dafür haben wir jetzt mehr als drei mal so viele Coins.
- XMR: Der Monerohaufen hat sich verdreifacht, der Kurs ist flat.
- OKB: Kursplus von gut acht Prozent in 36 Tagen und die Zahl der Coins knapp verdreifacht.
Der Vergleich
Strategie | Gewinn prozentual | Depotwert | Gewinn absolut |
---|---|---|---|
Buy & Hold mit Benefits aka HODL+ | 188 % | 2.885 USDT | 1.885 USDT |
Buy & Hold | -2,9 % | 971 USDT | -29 USDT |
Jedes Rebalancing erhöht die Zahl der Coins. Das ist das, was ich weiter oben mit Magie gemeint habe. Ja, es ist alles mathematisch herleitbar, aber es fühlt sich trotzdem so an, als würde die Strategie einfach Coins aus dem Nichts schürfen. Der Bot hat drei Geldhäufchen vor sich und schaufelt die Coins einfach von rechts nach links und wieder zurück und irgendwie werden es dabei immer mehr.
Das ist dieser "free lunch" der Kapitalmärkte: Rebalancing plus Rückkehr zum Mittelwert. Oder eben: Hin und Her macht Taschen voll.
Wichtig: Das funktioniert nur, wenn alle Beteiligten einen positiven Erwartungswert haben, also langfristig die Kurse steigen. Eine Anlageklasse, die langfristig auf Null geht, saugt das Depot aus wie ein Vampir. Aber, noch mal: Krypto dient der Veranschaulichung! Natürlich kann ein Coin seinen Wert komplett verlieren. Deshalb: "In echt" - breit diversifizierte ETFs verwenden!
Geht auch mit den Platzhirschen
Bitcoin plus Ethereum statt irgendwelcher Exoten-Coins. Hier der Langzeit-Chart eines 50/50-Depots. Das Backtest-Tool heißt Shrimpy.
- Start: 1. Juli 2016 mit 5.000 USD (je 2.500 USD in BTC und ETH)
- Ende: 4. Mai 2023
- Shrimpy Final Value: HODL+ mit einem Korridor von +/- 1 %. Wenn die Gewichtung eines Coins kleiner als 49 % oder größer als 51 % wird, schubst die Garnele die Coins wieder ins rechte Fahrwasser.
- HODL Final Value: Stures Buy & Hold
Der Lohn fürs Nichtstun im ersten Fall: 470.000 USD; im zweiten Fall: knapp 700.000 USD. Die Opportunitätskosten betragen 225.000 USD.
Und wie beim klassischen Buy&Hold: Auch HODL+ braucht Zeit. Die 225.000 Euro müssen Sie sich geduldig ersitzen.
Fazit - die Theorie
Traditionelle Assets haben eine Fließgeschwindigkeit wie ein Gletscher. Da entfalten sich diese Effekte in Zeitlupe. Aber prinzipiell läuft es bei Aktie & Co genau so ab.
Man schafft sich bewegliche Teile. Immer wenn sich die gegeneinander bewegen, wird das Originalverhältnis wieder hergestellt.
Letztlich führt man durch die Hintertür eine Art von Trendfolge ein. Kaufen, warten, bis der Kurs gestiegen ist, verkaufen und dafür die schlechter gelaufenen Assets kaufen. Warten, bis diese Assets zum Mittelwert zurückkehren, dann wieder verkaufen und alles geht von vorne los.
Kein Markttiming, immer voll investiert, regelbasiert, minimaler Aufwand. Lässt sich gut automatisieren.
Ein Rebalancing-Bot: Das wäre doch mal ein vernünftiges Feature für die ganzen Online-Broker. Vor allem weil Menschen in aller Regel damit überfordert sind. Rebalancing verbessert die Rendite, muss aber stur und regelbasiert durchgezogen werden. Immer fleißig die Loser kaufen; dass hält kein normaler Mensch lange aus. Und genau weil diese Strategie der Natur des Menschen widerspricht, funktioniert sie langfristig.
Fazit - die Praxis
In der Praxis ist ein simpler MSCI trotzdem die bessere Wahl. Warum?
Buy & Hold mit Benefits braucht Disziplin und Signale und löst Transaktionskosten und Steuern aus.
Disziplin und Signale
Das überfordert die meisten Menschen. Stur einen Algorithmus zu befolgen, fühlt sich für die meisten an wie ein Blindflug. Fragen Sie mal einen Piloten, ob er im Blindflug fliegt. Er wird das empört zurückweisen und Ihnen erklären, dass es Instrumentenflug heißt.
- Blindflug: Minderwertige Art des Fliegens, denn eigentlich ist der Mensch die Krone der Schöpfung und sollte das letzte Wort haben. Geht halt wegen des Nebels nicht, ist aber trotzdem blöd.
- Instrumentenflug: Höhenmesser und Co sind unbestechlich. 2.000 Füße über Grund bedeutet: Auch wenn alles in Wolkenwatte eingehüllt ist - raus mit dem Fahrwerk. Und weiter auf dem Gleitpfad.
Solange sich Algotraden für Sie nach Blindflug anfühlt => MSCI ACWI im Sparplan.
Soweit die mentale Hürde. Bleibt die technische Hürde: Wie automatisiere ich das und wo bekomme ich die Rebalancingsignale her?
Transaktionskosten und Steuern
HODL+ funktioniert, wenn die Rebalancinggewinne höher sind als Transaktionskosten und Steuern.
Im Kryptobereich spielen Transaktionskosten keine große Rolle mehr. Die Gebühren liegen zwischen 0,1 % und 0,2 % der Transaktionssumme und das sind die Garnelen-Konditionen. Krypto-Wale zahlen weniger.
Auch im Aktienbereich haben die Neobroker neue Gebührentiefststände eingeführt. 573 Rebalancings in 36 Tagen - so crazy ist nur Crypto. Bei ETFs reden wir hier von gemütlichen ein bis drei Rebalancings pro Jahr. Das sollte gebührenmäßig zu stemmen sein. Da gib’s doch bestimmt eine Neobrokerflatrate.
Das Problem sind die Steuern. Alles, was die Steuer heute nimmt, kann morgen keinen Zinseszins mehr produzieren. Diese Opportunitätskosten sind hoch, aber unsichtbar und werden deshalb nie mitgedacht.
HODL+: Buy & Hold plus regelbasiertes Umschichten bietet - nicht nur im Kryptobereich - ein enormes Renditepotential und ist auch für Privatanleger umsetzbar; aber das aktuell herrschende Steuerregime macht es uns sehr, sehr schwer.
Erfolgreiche Geldanlage hat nur wenig mit Geld anlegen zu tun. Erfolgreiche Geldanlage ist vor allem politische Lobbyarbeit. Nehmen wir nur mal das Kryptobeispiel von oben: 225.000 Euro mehr im steuerfrei zu besparenden Altersvorsorgetopf - das ist doch mal ein Wort!
Die Schlacht um Ihre Altersvorsorge wird nicht an der Börse, sondern an der Wahlurne ausgefochten.