06. Juli 2023
21 lästige Fragen
21 Fragen, die nicht nur beim Geldanlegen helfen.
1. Wessen Leben bewundere ich, das insgeheim unglücklich ist?
Will ich wirklich ein Leben "Larger than life" leben? Ein Leben, dessen Höhen und Tiefen Stoff für 30 Serienfolgen geben? Auch wenn "The Crown" mehr Fiktion als Fakt ist: Mit der Königin von England möchte ich nicht tauschen. Heldenreisen können ganz schön anstrengend sein.
2. Was glaube ich nur deshalb, weil ich dadurch bei meinen Leuten einen guten Stand habe?
Der gute alte Tribalismus. Bevor ich Sozialprestige verliere, akzeptiere ich 1+1 = 3.
3. Welche meiner derzeitigen Werte wären anders, wenn ich von anderen Eltern erzogen worden wäre?
Muss ja noch nicht mal Migrationshintergrund sein, reicht ja schon Stadt versus Dorf oder Juristenfamilie versus Ingenieure. 50 % Gene, 50 % Erziehung.
4. Woran glaube ich am meisten, obwohl es am wenigsten Beweise dafür gibt, dass es wahr ist?
Am gefährlichsten sind die Typen, die glauben, sie würden nichts einfach so glauben, sondern sie wären total rational. Fürchte den rationalen Investor!
5. Gut gebrüllt Löwe
- Wer hat die richtige Antwort, die ich aber ignoriere, weil sie schlecht kommuniziert wird?
- Wer redet Unsinn, steht aber im Rampenlicht, weil er ein guter Kommunikator ist?
6. Was halte ich für Ehrgeiz (eine gute Eigenschaft), ist aber in Wirklichkeit Neid (eine schreckliche Eigenschaft)?
Will ich etwas erreichen, weil es mir um die Sache geht oder will ich im Rampenlicht stehen, weil ich jemand anders den Erfolg nicht gönne? Neid - als Ehrgeiz verpackt - ist gesellschaftlich akzeptiert.
Als Anleger leiten wir daraus ab: Grabe solange, bis du den wahren Grund für die Kursänderung gefunden hast.
7. Was ärgert mich an anderen Menschen, was ich manchmal selbst tue?
So ganz ohne Doppelmoral geht’s nicht im Leben. Das ist ganz normal. Aber Jesus hatte schon recht:
"Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie."
8. Wie viel von meiner Nostalgie ist eine falsche oder unvollständige Erinnerung an die Vergangenheit?
Das meiste. Deshalb sind alle Urlaube immer schön gewesen. Auch wenn Eva-Melody die ganze Rückbank vollgekotzt hat und Malte-Torben beinahe im Pool ertrunken wäre.
9. Was in Ihrem Beruf ist unmöglich zu wissen, egal wie klug Sie werden?
David Deutsch sagte: "Hüten Sie sich vor dem Unterschied zwischen Vorhersage und Prophezeiung. Die Prophezeiung gibt vor, Dinge zu wissen, die man nicht wissen kann."
Das Problem: Die meisten Chefs wollen von ihren Untergebenen keine Vorhersage, sondern eine - juristisch einwandfreie - Prophezeiung. Und auch das Börsenvolk goutiert eine knackige Prophezeiung "DAX bei 40.000" mehr, als ein lauwarmes "Jo, könnt’ schon sein, dass der DAX steigt."
10. Ist das, worüber ich mir Sorgen mache, tatsächlich ein Problem? Oder suche ich nach Problemen, über die ich mir Sorgen machen kann, weil mir das ein Gefühl von Kontrolle gibt?
"Wie ich lernte, den Kontrollverlust zu lieben" - mein Mantra seit Jahren. Nichts lenkt mehr ab, als ein gut sortiertes Regal voller kleiner, lästiger, verlässlich wiederkehrender Probleme, die man immer wieder besiegen kann. Der alte Konflikt zwischen "Die Dinge richtig tun" und "Die richtigen Dinge tun".
11. Was in meinem Bereich halte ich für ein Gesetz (funktioniert immer), ist aber eigentlich nur eine Regel (funktioniert manchmal)?
Anleihen und Aktien sind immer unkorreliert. Die einzigen Gesetze, die diesen Namen verdienen sind die Naturgesetze. Die funktionieren immer. Der Rest ist Verhandlungssache.
Dazu passt:
"Alle Modelle sind falsch, manche sind nützlich."
George Box
12. Was halte ich für eine universelle Wahrheit, die aber in Wirklichkeit nur eine Norm ist, die nur in meiner eigenen Kultur gilt?
Bewährtes Konzept für eine solide Komödie. My Big Fat Greek Wedding, Türkisch für Anfänger, Monsieur Claude und seine Töchter - lasst die Klischees aufeinander prallen!
13. Was war vor einer Generation wahr und ist es heute nicht mehr, und wer klammert sich an diese alte Wahrheit?
Ratschläge, die mit "Schon die alten Stoiker …", "Konfuzius sagt …" beginnen, sind im allgemeinen brauchbare Ratschläge. Dinge, die 2.000 Jahre überstanden haben, sind vom Zahn der Zeit so abgenagt, dass nur noch das bleiche Skelett der ewigen Wahrheit übrig geblieben ist. Was 2.000 Jahre lang wahr gewesen ist, wird auch eine Generation später nach 2.030 Jahren noch stimmen.
Ratschläge, die mit "Also zu meiner Zeit …" oder "Als ich jung war …" beginnen, können Sie getrost vergessen. Das ist reine Taktik. War vor 30 Jahren sicher brauchbar, aber ob man damit 2023 noch einen Blumentopf gewinnt?
Privileg der Jugend von heute: Sie produzieren 2053 genervtes Augenrollen, wenn Sie stolz erzählen, mit welchen Tricks Sie 2023 ganz steil aus dem Gebüsch gekommen sind.
14. Was ist teilweise wahr, aber ich glaube so fest daran und nehme es so ernst, dass ich es zu einer gefährlichen Überzeugung gemacht habe?
Aktuelles Beispiel aus dem Finanzbereich: "Krypto ist Scheiße". Dazu Douglas Adams
"Alles, was es schon gibt, wenn du auf die Welt kommst, ist normal und üblich. Alles, was zwischen deinem 15. und 35. Lebensjahr erfunden wird, ist neu, aufregend und revolutionär. Alles, was nach deinem 35. Lebensjahr erfunden wird, richtet sich gegen die natürliche Ordnung der Dinge."
Wissen hat eine Halbwertszeit und das Dogma von heute ist das Arschgeweih von morgen.
15. Gibt es Dinge, die in meinem Leben heute gut laufen?
Nein, nichts läuft gut.
Das etwas doch ganz gut war, bemerken die meisten erst, wenn es vorbei ist. Die wenigsten haben die Weisheit zu erkennen, dass das aktuelle Hier und Jetzt eigentlich gar nicht so übel ist.
16. Gibt es Dinge, auf die ich zurückblicke und mir wünsche, ich hätte aufgehört, als ich noch vorne lag?
Der absolute Schlaufuchs-Move: Gehen, wenn die Party am Schönsten ist. Die Welt erinnert sich an einen sympathischen Gast und nicht an ein kotzendes Wrack auf der Toilette.
Aber emotional sehr schwer. Die meisten glauben ja, ohne sie würde sich die Welt nicht weiter drehen. Wobei sich dann immer die Frage stellt: Was wäre passiert, wenn die zweite Spermazelle mal ein bisschen mehr Gas gegeben hätte?
17. Gibt es etwas in meinem Leben, von dem ich glaube, dass ich "leidenschaftlich" oder "konzentriert" bin, aber in Wirklichkeit bin ich nur süchtig danach?
Leidenschaftlicher Trader oder Dopamin-Suchti? Auch hier wieder "A" sagen, "B" meinen - überall Potemkinsche Dörfer. Als Anleger dürfen wir uns nicht täuschen lassen. Weder durch uns selbst, noch durch andere. Mein Verdacht: Die Täuschung durch andere ist vernachlässigbar.
18. Verbringe ich mehr Zeit damit, das zu verteidigen, was ich bereits weiß, anstatt zu versuchen, etwas Neues zu lernen?
Keine nützliche Eigenschaft für einen Anleger. Neugier und qualifiziertes Verwerfen sind an der Börse gefragt. Die Finanzmarktforschung schreitet voran, es gibt neue technische Möglichkeiten - ein "das haben wir schon immer so gemacht" ist der sicherste Weg ins Abseits.
Etwas Neues zu lernen bedeutet nicht, dass das Neue auch nützlich oder brauchbar ist. Der Nützlichkeitsgedanke ist erst einmal zweitrangig. Hier geht es um Risikomanagement.
Normale Menschen:
Downside: Groß! Ich verschwende meine Zeit mit Dingen, die mir nicht unmittelbar etwas nutzen. Also: Nichts Neues lernen.
Anleger:
Downside: Groß! Ich verpasse womöglich wichtige Entwicklungen, die mein Depot (und damit meinen Lebensstil)
- entweder massiv negativ beeinflussen oder
- massiv positiv beeinflussen.
Also: Immer neugierig bleiben.
19. Gibt es Menschen in meinem Leben, die ich für nett und mitfühlend halte, die aber in Wirklichkeit zu schüchtern sind, um mir harte Wahrheiten zu sagen?
Oder denen ich nicht wichtig genug bin. Wozu harte Wahrheiten überbringen, wenn der Bote danach erschossen wird? Wer harte Wahrheiten verkünden will, braucht ein schnelles Pferd. Ich kann nicht reiten.
20. Wie würde Instagram aussehen, wenn es ein ehrliches Spiegelbild des Lebens der Menschen wäre, anstatt ein kuratiertes Highlight-Reel?
Vollkommen langweilig. Wenn ich lebensrealistisches Depri-TV will, schaue ich mir was bei den Öffentlich-Rechtlichen an. Klimageschädigter sexuell sonderinteressierter Kommissar mit Migrationshintergrund jagt rassistisch-misogynen Windradschänder. Insta muss knallen. Ich nehme es aber auch nur zu 10 Prozent ernst.
21. Bin ich so nett, wie ich sein könnte, und nicht nur so nett, wie ich sein muss?
Schwierige Frage - kollidiert manchmal mit dem "Leben und arbeiten in der arschlochfreien Zone". Hat beides seine Vorteile
- So nett wie ich sein muss: Optimal, wenn man anonym und unauffällig durchs Leben gleiten will. Wer so nett ist wie nötig, erregt keine Emotionen und ist nach fünf Minuten vergessen.
- So nett wie ich sein kann: Das ist außergewöhnlich und reputationsbildend. Man wird sichtbar und irgendwann öffnen sich Türen, von deren Existenz man gar nichts wusste.
Fazit
Ihre persönlichen Antworten auf diese lange Liste lästiger Fragen sind wichtiger für den Anlageerfolg in 20 oder 30 Jahren, als die Frage "Nehm’ ich den ACWI von SPDR oder den von Lyxor?" Alles Weitere regelt Frage 10.