25. Mai 2023
Finanzen geregelt - Freiräume geschaffen
Der Claim des Finanzwesirs: Finanzen geregelt - Freiräume geschaffen.
Schön, aber bedeutet das den konkret? Wie sieht die Freiheitsleiter aus? Wann ist man bei Charlie Mungers
"Ich hatte nicht die Absicht, reich zu werden. Ich wollte nur unabhängig werden."
angekommen?
Stufe 0
Vollständige finanzielle Abhängigkeit. Geld von Fremden, denen man egal ist. Wer fällt in diese Kategorie? Bettler, Obdachlose, Flüchtlinge oder Unternehmen, die darauf angewiesen sind, Geld von Erstinvestoren zu bekommen, denen es egal ist, ob das Unternehmen scheitert.
Stufe 1
Immer noch: Vollständige finanzielle Abhängigkeit. Aber dieses Mal von Menschen, die Ihren Erfolg wollen, weil sie Sie mögen und ihr Ansehen mit Ihrem Erfolg verbunden ist. Das sind Kinder und Jugendliche / junge Erwachsene in der Ausbildung. Das Gleiche gilt für Unternehmen, die von Freunden und Familienangehörigen unterstützt werden, die nicht die Absicht haben, ihr Geld zurückzubekommen.
Stufe 2
Vollständige finanzielle Abhängigkeit zum Dritten. Aber dieses Mal von Personen, die ein persönliches Interesse an Ihrem finanziellen Erfolg haben. So wie mein Bekannter, der im Scherz immer sagt, dass sein Sohn Fußballstar werden soll, damit seine Rente sicher ist. Aber, wer weiß, vielleicht kommt dieses Modell in den nächsten Dekaden ja wieder zu Ehren.
Im geschäftlichen Bereich sind das - noch - unrentable, aber vielversprechende Unternehmen, die von Investoren unterstützt werden, die mit ihren Investitionen eine beträchtliche Rendite erzielen könnten und Sie daher wahrscheinlich weiterhin unterstützen werden.
Stufe 3
Das erste selbstverdiente Geld. Das Lehrgehalt reicht nicht, die Eltern geben noch etwas dazu. Bei Studenten: Der Job plus Bafög. Typischer Vertreter auf Unternehmensseite: Amazon im Jahr 2002. Endlich profitabel, aber - Wachstum ist alles - für das erste Quartal 2003 plant Jeff 100 Millionen Dollar Verlust, um die Expansion voran zu treiben.
Stufe 4
Endlich subventionsfrei leben. Die Einnahmen decken die Ausgaben. Aber: Noch sind Sie auf Minion-Level. Sie schaffen keinen besonderen Mehrwert und sind leicht zu ersetzen. Für viele Menschen und Firmen ist das die Endausbaustufe. Das Leben ist mühsam, die Karotte der Freiheit ist immer gerade eben so nicht erreichbar, denn ein Chef oder ein Kunde bestimmt immer noch Ihren Tagesablauf und dann müssen Sie springen. Ihre Zukunft hängt von den Entscheidungen anderer ab.
Achtung: Stellen Sie sich jetzt keinen verhärmten Mindestlöhner vor, sondern einen gut gekleideten und eloquenten Topjuristen, der trotzdem springen muss, wenn sein Client eine einstweilige Verfügung erhalten hat. Ich sach nur: Freiräume schaffen…
Stufe 5
Die ersten Fettpolster werden angelegt: Sie haben genügend Ersparnisse, um alltägliche Probleme zu bewältigen. Das sind die ominösen drei bis sechs Monatsgehälter als Notgroschen, die wir Finanzblogger immer empfehlen. Die üblichen "Shit-happens"-Probleme ertragen Sie mit einem Achselzucken. Das ist das erste kleine "Peace of Mind".
Stufe 6
Die Kriegs- und Krisenkasse ist gut gefüllt. Auch große und unvorhergesehene Probleme wie Krebs, Chemo und dann ein halbes Jahr Reha bringen Sie nicht in finanzielle Schwierigkeiten. Grundsätzlich sind Sie immer noch auf Ihren Job oder - als Selbständiger - auf Ihre Kunden angewiesen, um Monat für Monat über die Runden zu kommen, aber im Falle einer Krise wären Sie wahrscheinlich für einen angemessenen Zeitraum abgesichert.
Stufe 7
Sie können es sich leisten den einen oder anderen ETF-Anteilsschein für den Ruhestand zu erwerben und vermeiden Konsum- und Autoschulden. Sie sind immer noch auf Job und Kunden angewiesen, aber - wenn nichts schief geht - können Sie das Finanzwesir-Ziel "Nicht arm sterben" erreichen. Ein bürgerliches Leben mit ein paar Extras - für die meisten Menschen ist das das realistischste Ziel.
Stufe 8
Langsam nähern wir uns dem "Fuck-you-Territorium". Ab Level 8 haben Sie die Superkraft, sich Ihren Job oder bestimmte Kunden auszusuchen. Hier beginnt das Leben in der arschlochfreien Zone. Sie sind immer noch auf Chefs und Kunden angewiesen, haben aber die Freiheit zu sagen: "Nein, nicht mit Ihnen!".
Stufe 9
Sicherheit macht souverän. Soll sich der Nachbar alle zwei Jahre eine neue Penisverlängerung leasen; der 15 Jahre alte Opel tut’s noch. Wozu also Dinge kaufen, die man nicht braucht, um Menschen zu beeindrucken, die man nicht mag? Das ist der Weg. Noch sind Sie nicht wohlhabend genug, um sich solchen Potlachaktivitäten hinzugeben.
Stufe 10
Meinen Neuwagen zahle ich bar. Klar, die Bank würde mir einen superbilligen Kredit geben. Aber wozu Schulden aufnehmen, wenn es nicht nötig ist? Schulden bedeuten immer Unfreiheit. Und wir wollen ja kein billiges Kapital, um unseren Reichtum zu hebeln, sondern Freiheit. Gläubiger regieren immer in das Leben ihrer Schuldner hinein.
Stufe 11
Die Flughöhe ist schon ziemlich gut. Klar, schwarzer Schwan geht immer, aber realistisch gesehen: Es gibt nur wenige Situationen, die dazu führen würden, dass Sie, Ihr Unternehmen oder Ihre Familie unter die Stufe 5 zurückfallen. Sie könnten ein Jahr lang oder länger von Ihren liquiden Ersparnissen leben. Jetzt wird es ernst mit der Unabhängigkeit: Sie können jetzt zu fast jedem und allem "Nein" sagen, ohne Konzequenzen fürchten zu müssen.
Stufe 12
Einkommensorientierte Anleger freuen sich: Zinsen und Dividenden decken mehr als die Hälfte Ihrer Lebenshaltungskosten. Wer thesauriert, muss sich überlegen: Jetzt verkaufen, oder doch lieber weiter Hamsterrad? Denn, egal was die Excelkönige sagen: Es fühlt sich anders an, von den Dividenden zu leben, als Anteile zu verkaufen. Mathematisch mag es identisch sein, emotional ist es das nicht und die Emotionen siegen immer.
Aber, den heiligen "Fuck-you-Gral" haben Sie noch nicht erreicht: Der größte Teil dieser Unabhängigkeit ist Ihrem teilfrugalistischen Lebensstil zu verdanken (siehe Stufe 9) und nicht Ihrem großen Vermögen. Sie wissen, dass Sie die Lebensstilinflation bändigen müssen und passen auf.
Stufe 13
Sie sind der Millionär von nebenan. Für ein wirklich gutbürgerliches, aber noch yachtfreies Leben reicht es. Sie brauchen weder einen Job, noch Kunden und werden trotzdem nicht arm sterben. Sie entscheiden was Sie wann, wo und mit wem machen. Sie gehen nur noch freiwillige Verpflichtungen ein. Das fühlt sich gut an.
Stufe 14
Ein bisschen Lebensstilinflation muss sein. Ihr Vermögen bezahlt die über den Grundbedarf hinausgehenden Lebenshaltungskosten. Nur: Was bedeutet "über dem Grundbedarf"? Das müssen Sie definieren. Der Luxus des Einen ist die halbe Tankfüllung des Anderen. Was Sie nicht wollen: Rückfall auf Stufe 5. Aber ja, das letzte Hemd hat keine Taschen. Der Sprung von 13 auf 14 ist der Schwierigste auf dieser Leiter.
- Die einen werden arrogant: Gib einem Menschen Geld und erkenne seinen wahren Charakter. Sie sind nicht verpflichtet, Ihre Mitmenschen wie Domestiken zu behandeln, nur weil Sie viel Geld haben.
- Die anderen bleiben bescheiden und verlassen die "Muss-Vermögen-aufbauen"-Geisteshaltung nie. Die Rumbuddel für 200 Euro qualifiziert sich noch nicht mal als Rundungsfehler - nee, lass mal, kleines gemischtes Wasser reicht auch.
Stufe 15
Das Boss-Level. Sie sind ein Elder Statesman geworden. Sie tun, was Sie für richtig halten, ohne sich darum zu kümmern, was andere davon halten, denn auf die Unterstützung oder das Wohlwollen der meisten ihrer Mitmenschen sind Sie nicht mehr angewiesen.
Aber als Elder Statesman sind Sie weise geworden und sagen nicht mehr alles, was Sie denken. Für Sie gilt das biblische "an ihren Taten sollt ihr sie erkennen".
Und im übrigen haben Sie erkannt, dass sie meisten Menschen sich sowieso nur von Dingen überzeugen lassen, von denen sie eh schon überzeugt sind. Als Mensch ohne Sozialprestige haben Sie den Rubicon of Fuck you überschritten und leben so selbstbestimmt wie irgend möglich.
Das Finale
Es bleibt dabei:
"Geld ist geprägte Freiheit"
Fjodor Michailowitsch Dostojewski
Darum geht es beim Geldanlegen: Kontrolle über die eigene Zeit.
PS
Stufe 16 - Sie werden ein weltberühmter Philanthrop und kujonieren die Menschheit mit Hilfe Ihrer Stiftungen unter dem Deckmantel der Gemeinnützigkeit.